Zusammenarbeit von Schulschach-AG und Schachverein

Die Zusammenarbeit einer Schulschach-AG mit einem Schachverein ist heute ein vielfach bewährtes Modell. Mehr als in anderen Sportarten werden erfolgreiche Partnerschaften aufgebaut und zum beiderseitigen Nutzen mit Leben erfüllt.
Die konkrete Ausgestaltung hängt von den Bedingungen des Einzelfalls ab: Größe und Leistungsanspruch des Vereins, Engagement der beteiligten Personen, technisches und organisatorisches Umfeld…
Sehen wir uns an, wie es bei der Herderschach-AG und den Schachfreunden Siemensstadt läuft:

Der Alltag

Im Alltag ist es zunächst die AG, die von unserer Zusammenarbeit profitiert. In nahezu jeder AG-Stunde ist der Vereinstrainer anwesend und vermittelt den Schülern Grundwissen zu ausgewählten Themen. Dabei steht meist über einen längeren Zeitraum ein bestimmter Themenkomplex (Eröffnungsfallen, Bauernendspiele, Opferkombinationen, …) im Mittelpunkt und wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.
Bereits hier ist aber die Identifikation mit "unserem" Verein wichtig. So werden bei jeder sich bietenden Gelegenheit thematisch passende Partien der eigenen Vereinsspieler angeboten. Das ist natürlich viel interessanter, als von irgendwelchen anonymen Großmeistern früherer Jahrhunderte zu hören.
Auch die Spannung des ganz aktuellen Wettkampfschachs soll hier schon vermittelt werden. Es ist eben sehr wirksam, wenn man die handelnden Personen kennt, und erfährt, dass sie hier nach einer 4stündigen Partie vielleicht gerade den entscheidenden Punkt im Abstiegskampf geholt haben.

Kernstück der AG-Tätigkeit sind natürlich die Ligaspiele unserer Schulmannschaften. Hier zeigt sich, dass in praktisch allen Fällen diejenigen Schulen vorn liegen, die mit Vereinen mehr oder weniger eng zusammenarbeiten.

Kooperationsvereinbarung und Wettkämpfe

Zwischen der Schule und dem Verein besteht eine Kooperationsvereinbarung mit Festlegung gegenseitiger Verpflichtungen.
Hier hat der Berliner Schachverband ein Modell geschaffen, das zur Nachahmung nur empfohlen werden kann. Es ermöglicht die Aufnahme der AG-Mitglieder in den kooperierenden Verein mit einem Sonderstatus ("Jugendgast"). Damit sind sie nicht individuell beitragspflichtig sondern erwerben eine Mitgliedschaft als gesamte AG. Im Gegenzug bietet der BSV das Teilnahmerecht bis hin zu offiziellen Meisterschaften. Die Schüler können an der Landes-Einzelmeisterschaft ihrer Altersklasse teilnehmen oder in der Vereinsmannschaft bei Jugendliga-Spielen mitwirken.
In unserem Falle bietet der Verein "seinen" Schülern außerdem leistungsgerecht die Möglichkeit zu weiteren Turnieren. Sie erhalten so die Gelegenheit, unverbindlich ins Wettkampfschach – auch mit Erwachsenen – hinein zu schnuppern.
Der Wortlaut des Vertrages steht als PDF-Dokument zur Verfügung. Der erste Teil entspricht der Vorlage des BSV, die Anlage ist unsere spezifische Ausgestaltung.

Der Schritt in den Verein

Hier scheiden sich nun die Geister: Es gibt Vereine, die "ihre" AG-Schüler sehr früh als Vollmitglieder anmelden – zum Teil ohne deren Wissen – und sie ins kalte Wasser (zu) hochklassiger Wettkämpfe werfen.
Wir gehen einen anderen Weg:
Der Schritt eines jungen Schachspielers in den Verein ist ein Meilenstein in seiner schachlichen und persönlichen Entwicklung.
Die Einladung zur Vollmitgliedschaft im Verein soll als Auszeichnung verstanden werden. Sie geht an junge Spieler, die ein vorzeigbares Spielniveau erreicht haben und sich auch persönlich unter erwachsenen Menschen bewegen können. Bisher hat uns niemand darin enttäuscht. Um diesen Auszeichnungscharakter zu unterstreichen, bieten wir zunächst für ein Jahr eine kostenlose Mitgliedschaft an.
Dieses Sponsoring macht sich natürlich bezahlt, denn wir gehen davon aus, dass die Jugendlichen auch darüber hinaus dem Verein treu bleiben.
Mit der Mitgliedschaft ist vor allem der regelmäßige Einsatz in einer Männer-Mannschaft des Vereins in den regulären Ligaspielen verbunden. Schach-Mannschaften, in denen Spieler von 13 und über 80 Jahren nebeneinander sitzen und in einem gemeinsamen Team den Erfolg suchen, sind heute keine Seltenheit. Kaum ein anderes Freizeitangebot kann so zum Miteinander verschiedener Generationen beitragen. Unnötig zu sagen, dass unsere Jugendlichen von der Erfahrung der Oldies noch sehr profitieren können.
Darüber hinaus erhalten die Spieler leistungsgerecht weitere Wettkampfangebote z. B. in der Vereinsmeisterschaft oder in der Berliner Einzelmeisterschaft.
Wir erwarten nicht unbedingt, dass sich die Kinder und Jugendlichen an unserem abendlichen Vereinstraining beteiligen. Natürlich freuen wir uns, wenn sie dies im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten tun. Die wichtigste Lerngelegenheit bleibt aber die Schulschach-AG, wo ja ein viel spezielleres jugendgerechtes Training möglich ist.

Fazit

Wenn ich am Anfang von "beiderseitigem Nutzen" sprach, sind wir jetzt eigentlich schon einen Schritt weiter: Es gibt keine zwei Seiten mehr. Schach-AG und Verein ziehen gemeinsam an einem Strang (und zwar auf der gleichen Seite). Wir begreifen uns als zwei Teile eines gemeinsamen Projekts und werden dieses erfolgreich fortsetzen.
Die Schulmannschaften profitieren vom regelmäßigen Training und den weitergehenden Wettkampfmöglichkeiten und -erfahrungen. Für den Verein ist die AG ein nicht versiegender Quell gut ausgebildeter Nachwuchsspieler und damit die Garantie für langjähriges kontinuierliches Fortbestehen und Wachstum.
Auch wenn längst nicht alle jungen Spieler den Schritt in den Verein wagen, profitieren sie von der Zeit in der Schach-AG und wir freuen uns, sie dabei begleitet zu haben.

Thomas Binder, April 2005