Unser Sommerrätsel 2018

Bild "Hallo, Watson! Schön, dass Sie mich besuchen kommen." Ein sichtlich zufriedener Sherlock Holmes begrüßte seinen Freund, der gerade ins Zimmer eingetreten war. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Schachbrett, und Watson erkannte die hier abgebildete Stellung.
"Ich höre, der Lord Checkmately hat wieder nach Ihnen gerufen?", fragte Watson. "Ist denn bei ihm wieder etwas gestohlen worden oder zu Bruch gegangen?"
"Nein, diesmal geht es nur um eine Schachpartie. Aber der Lord hat sich natürlich erinnert, dass wir jedes Problem aus dem Schachspiel lösen und sogar ein wenig in die Vergangenheit einer Stellung blicken können. Diese Fähigkeiten sind jetzt wieder gefragt."

Bild Watson war gerade aufgefallen, dass auf dem Brett unmöglich eine echte Partiestellung aufgebaut sein konnte. Es waren zwar nur noch sechs Figuren auf dem Brett, aber der schwarze König fehlte und stand daneben. Watson ergriff ihn instinktiv und schaute unschlüssig auf die 64 Felder. Wo mag er wohl gestanden haben?

"Ja, Sie haben das Problem schon erkannt, mein lieber Doktor."
"Checkmately hatte einen Gast vom Kontinent zu Besuch, den Baron van Verloor. Sie spielten einige Partien Schach, und es stellte sich schnell heraus, dass unser Lord der klar bessere Spieler ist. In der vierten Partie ergab sich dann diese höchst merkwürdige Stellung. Checkmately spielte brillant und hätte den Gegner im nächsten Zug ganz sicher matt gesetzt, als…"
Watson sah den Detektiv fragend an: "Als?"
Bild Bild "Ja … als die Haushälterin mit dem 5-Uhr-Tee herein kam. Die Dame ist ja auch nicht mehr die Jüngste. Und so widerfuhr es ihr wohl, dass sie versehentlich den schwarzen König mit der Zuckerzange anstieß und dieser vom Brett fiel. Nun sind sich die Herren nicht mehr einig, wo er denn wohl gestanden hat."

Bild "Ist das denn so wichtig? Weiß steht doch sowieso klar auf Gewinn", warf Watson ein.
"Das stimmt natürlich. Aber van Verloor will sich nicht in sein Schicksal fügen, wenn nicht klar ist, wie er mattgesetzt wird. Checkmately hingegen ist untröstlich. Er ist sich sicher, dass er sofort mattsetzen kann und das auch noch mit einem ganz außergewöhnlichen Manöver."

"Und? Können Sie ihm helfen?" "Ich denke, ja! Ich habe mir die Stellung sehr genau angesehen. Wenn Sie es mir gleich tun, werden Sie erkennen, lieber Watson, dass der König eigentlich nur auf zwei Feldern stehen kann. Auf allen anderen wäre die Stellung gar nicht möglich – jedenfalls nicht, wenn Weiß am Zuge ist."

"Aber zwei Felder sind doch immer noch eines zu viel", widersprach Watson.
"In diesem Falle nicht", antwortete Sherlock Holmes mit einem Lächeln. "Weiß kann nämlich in beiden Fällen sofort mattsetzen und das…", Holmes legte eine bedeutungsschwere Pause ein. "… und das auch noch in beiden Fällen mit dem gleichen Zug."

An dieser Stelle kehren wir aus England ins Herderschach-Universum zurück. Die beiden Fragen sind gestellt:

Nehmt euch Zeit, ihr findet die Antwort bestimmt.
Bitte schickt eure Lösung per Email an den Webmaster. Die besten Antworten werden nach den Sommerferien hier veröffentlicht.

Lösung und Auswertung

Die Aufgabe hat unseren Schachkids manch schlaflose Nacht bereitet. Wie sonst soll ich es deuten, wenn ein 12jähriger Schachzwerg mir seine Lösung um 23:45 Uhr (in einer normalen Schulwoche) zumailt…
Insgesamt war die Resonanz diesmal etwas geringer als im Vorjahr, dafür wurde die Aufgabe von allen Einsendern richtig gelöst. Glückwunsch und Dank an alle Teilnehmer!

Der weiße König steht entweder auf c8 oder auf d7. Er wird auf beiden Feldern mit der Unterverwandling c7xb8S# matt gesetzt. Zum Nachspielen:
Der König steht auf c8
Der König steht auf d7

Erleichtert wurde die Lösung wohl dadurch, dass man sich ihr von zwei Seiten nähern konnte: Einerseits brauchte man zwei Felder, auf denen sich dennoch jeweils das gleiche Matt ergibt. Andererseits musste die Stellung (mit Weiß am Zug) überhaupt möglich sein. Hatte man die Felder – so oder so – gefunden, musste jeweils noch die andere Forderung abgearbeitet werden.

Dabei führte das Finden zweier legaler Stellungen zu den größeren Problemen. Vor allem Maris wehrte sich mit durchaus stichhaltigen Argumenten gegen die Möglichkeit, dass der König auf c8 stehen kann. Was war denn dann der letzte schwarze Zug? Es kann nur ein Königszug gewesen sein und zwar von d7 nach c8. Aber halt – dann war doch die achte Reihe offen und Weiß stand (mit Schwarz am Zug) im Schach. Richtig, aber dann muss eben auf c8 eine weiße Figur gestanden haben. Schaut man genauer hin, kann dies nur ein weißer Springer gewesen sein. Diesen hat der König gerade auf c8 geschlagen.
Solche "Auferstehung" geschlagener Figuren ist im "Retroschach" oft der einzige Weg, das Zustandekommen einer Stellung zu erklären.

Zum Schluss haben wir übrigens noch einen netten Zufall zu vermelden. Gerade während der Laufzeit des Rätsels veröffentlichte Chessbase einen instruktiven Artikel über die Gedankenwelt des Retroschachs. Auch dieser basiert auf Beispielen aus den Büchern von Raymond Smullyan und an prominenter Stelle wird diese Aufgabe zitiert.
Hier der Link zum Artikel: Retroschach bei Chessbase (englisch). Herzlichen Dank für den Hinweis darauf an Thorsten Groß vom SC Weisse Dame, auch wenn von den acht Herderschach-Kids aus seinem Verein keiner zu den Einsendern einer Lösung gehörte.


Aufgabe nach Raymond Smullyan, Textfassung Thomas Binder