Trainingsmaterial Nr. 15

Inhaltsverzeichnis

Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 14
Rekorde im Schach – Folge 2
Hausaufgabe
Endspiel intensiv – Folge 3
Was ist eigentlich…?
Final Fun




  Eröffnungsfallen und Kurzpartien
Heute: Opfer auf f7

Das Opfer einer Leichtfigur (meist des Läufers) auf f7 bzw. f2 gehört zum Standard jedes Schachspielers. So lange dieser Zug technisch möglich ist – besonders aber in unrochierter Stellung – müssen sowohl der Angreifer als auch der Verteidiger diese Möglichkeit im Auge behalten.
Die Beispiele dazu sind sehr vielfältig. Hier kann nur eine kleine Auswahl zeigen, welch verschiedenartige Motive sich hinter diesem typischen Opfer verbergen können.

Als Einstiegsbeispiel dient eine extrem kurze Partie, die uns bereits den Grundgedanken des f7-Opfers in sehr drastischer Weise vorführt.
Lusgin – Joffe, Sowjetunion 1968
Die Zugfolge Lxf7+ nebst Sg5+ ist sehr häufig. Sehen wir ein weiteres Beispiel:
Monosson – Faque, Paris 1935
Mit genau der gleichen Zugfolge erwähnt allein der Autor Mazukewitsch 4 Partien. Man sieht also: Eröffnungsfallen werden auch unter beachtlichen Spielern immer wieder angewandt. Es lohnt sich, sie zu kennen.
Ein weiteres Beispiel, ebenfalls aus Frankreich:
Cheron – Polikier, Frankreich 1927
Abhängig von der konkreten Situation, kann das 2. Schach nach dem Opfer auch auf e5 erfolgen:
Schnitzler – Eberle, Düsseldorf 1861

Interessant sind auch Varianten, in denen der Springer in der Folge auf e6 auftaucht und die Dame erobert. Hier ein Beispiel in dem kein Geringerer als der große Siegbert Tarrasch (1862 – 1934) verliert. Er unterliegt dem deutschen Meister von 1925, Freiherr von Holzhausen (1876 – 1935).
Holzhausen – Tarrasch, Deutschland 1912
Auch die nächste Partie ist von historischem Interesse: Der spätere Weltmeister Robert Fischer spielte sie bei der USA-Meisterschaft 1958 als 15jähriger "Wunderknabe" gegen den stärksten Spieler seines Landes, Sammy Reshevsky (1911 – 1992). Reshevsky hatte selbst in seiner Jugend als "Wunderkind" gegolten und musste hier schmerzlich erfahren, wie vergänglich solcher Ruf sein kann.
Fischer – Reshevsky, USA 1958

In der folgenden Partie wird der König mit mutigen Opfern seines Schutzes beraubt und matt gesetzt.
Schlosser – Kantschew, 1957

Seltener, aber genau so wichtig zu kennen, sind die Springeropfer auf f7. Ein Beispiel soll unseren Streifzug abschließen.
Laun – Müller, Deutschland 1963

Und zum guten Schluss wieder der Beweis, dass diese Motive auch in den eigenen Partien vorkommen.
Zunächst erinnere ich an meine Siege gegen Mick und Schönfeld, die man im 13. Training (im Material zum Morra-Gambit) findet.
Eine weitere Partie mit typischem Läuferopfer auf f7:
Binder – Kuhnke, Deutschland 1986




  Rekorde im Schach

Hier nun wieder ein paar skurrile Rekorde von der Homepage von Tim Krabbé.

Zunächst suchen wir Partien in denen möglichst spät geschlagen wurde.
Den Rekord halten der Pole Filipowicz und der Jugoslawe Smederevac. Nach 70 Zügen waren noch alle Figuren auf dem Brett und die Partie wurde wegen der 50-Züge-Regel remis gegeben. Im 20.Zug hatten beide zuletzt einen Bauern bewegt.
Wer sich die Sache unkommentiert ansehen möchte, bitte schön:
Filipowicz – Smederevac, Polen 1966
Die Partie kann wohl auch den Rekord "50-Züge-Regel mit den meisten Figuren" beanspruchen.

Die bisher längste entschiedene Partie, in der zum Ende noch alle Figuren auf dem Brett waren, spielten Reinhard Nuber und Roland Keckeisen in der Meisterschaft von Oberschwaben 1994. Immerhin 31 Züge lang hielten es alle Figuren auf dem Brett aus. Dann musste Schwarz aufgeben.
Nuber – Keckeisen, Deutschland 1994

Ebenfalls in Deutschland ergab sich die längste Serie gegenseitigen Schlagens:
Zwischen Reinhard Blodig und Herbert Wimmer wurde in 17 einander folgenden Halbzügen etwas weggenommen.
Blodig – Wimmer, Deutschland 1988
Das folgende nennt Tim Krabbé einen "Unterrekord": 10 Schlagfälle in Folge auf dem selben Feld.
Vermutlich stammt die Partie aus einem Jugendturnier.
Oll – Healey, 1993




  Hausaufgabe

Wir lösen jetzt die Aufgabe aus Training Nr. 13 auf.

Es handelte sich um 3 retroanalytische Aufgaben.
Da die Erklärung recht viel Platz benötigt, liegt sie in einem eigenen Dokument.
Lösung der Hausaufgaben aus Nr. 13


Und hier nun die neue Aufgabe für dieses Mal.
Es ist eine relativ einfache Aufgabe im Quiz-Stil. Sehen wir uns zunächst die Stellung an.
Hausaufgabe. Schwarz am Zuge
Weiß hat zuletzt Td1-e1 gezogen. Welche der folgenden Aussagen trifft nun auf diese Stellung zu?

  1. Der weiße Bauer auf e4 ist ausreichend gedeckt. Schwarz kann ihn nicht schlagen.
  2. Schwarz kann den Bauern e4 mit Läufer oder Springer schlagen. Beide Züge sind gut.
  3. Schwarz kann auf e4 mit dem Springer schlagen. Das Schlagen mit dem Läufer ist nicht gut.
  4. Schwarz kann auf e4 mit dem Läufer schlagen. Das Schlagen mit dem Springer ist nicht gut.



  Endspiel intensiv
Der "Durchbruch" im Bauernendspiel

Heute lernen wir ein typisches Verfahren kennen, mit dem sich oft Bauernendspiele gewinnen lassen, selbst wenn noch keine Freibauern vorhanden sind. Unter Opfer eines oder mehrerer Bauern wird letztlich für einen Bauern der Weg zur Umwandlung frei gemacht.

Zunächst ein einfaches und lehrreiches Beispiel.
Studie aus dem Jahre 1766
Das gleiche Verfahren ist auch bei einer anderen Bauernaufstellung möglich. Wieder gewinnt derjenige dessen Bauern weiter vorgerückt sind.
Weiß am Zuge

Es folgen 3 Beispiele aus praktischen Partien. Es kommt immer wieder darauf an, im richtigen Moment an das Motiv des Bauerndurchbruchs zu denken.
Awerbach – Bebtschuk, Moskau 1964
Baratz – Schönmann, 1927
Pomar – Cuadras, Spanien 1974




  Was ist eigentlich…
eine Hängepartie??

Der Begriff "Hängepartie" hat sich ähnlich wie "Zeitnot", "Zugzwang" oder "Bauernopfer" aus dem Schach in viele Bereiche des Lebens verbreitet. Im heutigen Schachleben kommt er – aus guten Gründen – kaum noch vor.
Früher war es üblich, dass eine Partie nach einer bestimmten Zeit (meist 4 oder 5 Stunden) abgebrochen und an einem späteren Tag fortgesetzt wurde.
Der am Zug befindliche Spieler führte seinen Zug nicht auf dem Brett aus, sondern schrieb ihn auf das Formular, versiegelte dieses in einem Umschlag und gab es dem Schiedsrichter, der es bis zur Fortsetzung der Partie unter Verschluss hielt. (Daher der Begriff "Abgabezug".)
Bei der Fortsetzung öffnete der Schiedsrichter den Umschlag und führte den Abgabezug aus. Stellte sich heraus, dass der Spieler einen unmöglichen oder nicht eindeutigen Zug notiert hatte, war die Partie für ihn verloren.
In der Zeit zwischen Abbruch und Fortsetzung der Partie konnten beide Spieler natürlich fremde Hilfe und Literatur in Anspruch nehmen und die Stellung ausgiebig analysieren. Spätestens seit es schachspielende Computerprogramme gibt, sind Hängepartien damit wertlos. Die Gesamtbedenkzeit wurde so weit verkürzt, dass es nicht mehr zu Vertagungen kommen muss.

Über Hängepartien gibt es unzählige Anekdoten und es sind auch Lehrbücher z. B. über die richtige Wahl des Abgabezuges und die Analyse der vertagten Partie geschrieben worden. Es ist klar, dass oft auch fremde Hilfe über den Ausgang einer Partie entschieden hat.

Bei der Schacholympiade 1980 hatten die Sowjetunion und Ungarn ihre Partien der letzten Runde schon beendet und lagen punktgleich auf Platz 1 und 2. Über den Titelgewinn musste die Buchholz-Wertung (wir erinnern uns: Die Summe der Punkte der Gegner) entscheiden. Nun kam alles auf die Partie im hinteren Mittelfeld zwischen Schottland und Griechenland an.
Die Russen brauchten mindestens einen 3:1-Sieg der Griechen. Zum Abbruch stand es 1,5:0,5 für Griechenland bei 2 Hängepartien. Während die armen Schotten vermutlich die ganze Nacht über analysierten, nahmen sich die Russen mit Weltmeister Karpow und seinem Nachfolger Kasparow die Stellungen der Griechen vor und fanden in beiden Partien den Gewinnweg. Am nächsten Morgen ließen sich die ausgeschlafenen Griechen erklären, wie ihre Partien zu gewinnen sind und holten den klaren 3,5:0,5 Sieg gegen Schottland – Die Sowjetunion gewann die Olympiade.
Sicher ist dieses extreme Beispiel ein Fall grober Unsportlichkeit. Die Regeln ließen fremde Hilfe bei einer Hängepartie aber zu. So gesehen, kann man froh sein, dass es sie heute nicht mehr gibt.




  Final Fun

Wir kommen wieder auf Hartstons "How to cheat at chess" zurück.
Am Ende dieses Buches steht ein nettes Quiz, welches wir hier und in der nächsten Folge betrachten wollen.
Die Auflösung folgt im übernächsten Training.
Heute also die ersten 5 Fragen:

  1. Sie haben eine Figur angefasst, bemerken aber plötzlich, dass der beabsichtigte Zug sofort verliert. Die Schachregeln verlangen natürlich, dass der berührte Stein auch gezogen wird.
    Wie reagieren Sie?
    1. Sie fuchteln mit der Figur wild über Ihrem Kopf herum und rufen laut "Verdammte Wespen, verschwindet", bevor Sie sie wieder auf das Ursprungsfeld zurückstellen und irgend etwas anderes ziehen.
    2. Sie führen den beabsichtigten Zug mit großer Geste aus, knallen die Figur aufs Brett und donnern auf die Uhr – und bieten Remis an.
    3. Sie stellen die Figur dahin zurück, woher sie kam, und ziehen etwas anderes, wobei Sie sich darauf verlassen, dass ihr Gegner soviel Anstand besitzt, sich nicht zu beschweren und wobei Sie gegebenenfalls bereit sind, jeden Eid zu leisten, diese Figur niemals zuvor gesehen, geschweige denn berührt zu haben.
    4. Sie rühren geistesabwesend mit dem Stein des Anstoßes Ihren Tee um, bevor Sie in tiefes Nachdenken zurückfallen.
  2. Sie müssen am nächsten Nachmittag gegen einen außergewöhnlich starken Gegner antreten.
    Ihre Vorbereitung ist die folgende:
    1. Sie versorgen ihn reichlich mit Abführschokolade, die in unschuldig aussehender Verpackung steckt.
    2. Sie stellen sicher, dass der Telefon-Service ihn frühmorgens um 04:30 Uhr weckt und das Hotel ihn um 06:00 Uhr mit einem reichhaltigen englischen Frühstück und allen Morgenzeitungen eindeckt.
    3. Sie sorgen dafür, dass ihn nach etwa einer halben Stunde Spielzeit ein Telegramm mit der traurigen Nachricht erreicht, dass der Hügel, auf dem sein Haus steht, seine wahre Natur als aktiver Vulkan soeben durch einen Ausbruch verraten hat. Prüfen Sie vorher nach, dass seine Versicherung auch keine Vulkanausbrüche abdeckt.
  3. Ihr Gegner hat in der Eröffnung gerade einen Zug gemacht, der Ihnen völlig unbekannt ist.
    1. Sie antworten unverzüglich, um Ihre mangelhaften Eröffnungskenntnisse zu verbergen.
    2. Sie erforschen den Gesichtsausdruck von einigen gerade zuschauenden Großmeistern, um herauszufinden, was diese von dem Zug halten.
    3. Sie machen einen unverbindlichen Zug und schleichen zur Turnier-Buchhandlung, um zu sehen welches Wissen sich aus den Buchquellen schöpfen läßt.
    4. Sie bieten Remis an.
  4. Die Hand Ihres Gegners schwebt heran, um den Zug auszuführen, den Sie fürchten.
    1. Sie brechen in einen fürchterlichen Hustenanfall aus.
    2. Sie bieten ihm ein besonders starkes Pfefferminz an.
    3. Sie bieten ihm Remis an.
    4. Sie verschütten Ihren Tee auf seinem Schoß.
  5. Sie haben gerade den glücklichsten Sieg Ihrer Karriere errungen: Sie waren völlig überspielt, bis Ihr Gegner - vielleicht durcheinandergebracht durch den glühenden Tee, der von seinen Knien tropfte – mehrere grobe Fehler machte, verschiedene Wege zum Mattsetzen ausließ und schließlich in ausgeglichener Stellung die Zeit überschritt (eigenartig, dass seine Uhr soviel schneller zu laufen schien als die Ihre).
    Ihr Kommentar an die Presse nach der Partie ist der folgende:
    1. Ich habe den Punkt überhaupt nicht verdient. Es war pures Glück.
    2. Er hat wacker gekämpft, aber hatte doch nie eine reelle Chance. Der Bessere hat gewonnen.
    3. Ich hätte viel schneller gewonnen, wenn ich nicht so schreckliche Kopfschmerzen gehabt hätte.



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Thomas Binder, 2003