Trainingsmaterial Nr. 42

Inhaltsverzeichnis

Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 13
Endspiel intensiv – Folge 10
Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 23
Eine berühmte Studie
Schach-Spielarten – Folge 9
Was ist eigentlich…
Nachschlag
Hausaufgabe




  Glanzstücke der Schachgeschichte

Wieder einmal wollen wir einige besonders attraktive Partien aus der Geschichte unseres Spiels kennenlernen. Wir verbinden dabei den Genuss schöner Kombinationen mit dem Lern- und "Aha"-Effekt.

Ein sehr seltenes Motiv setzte der russische Großmeister Lazarev in der folgenden Partie gegen einen jungen spanischen Spieler ein.
Lazarev – Eyo Castro Rial, Spanien 2004

Bei den häufigen Umfragen nach den schönsten Partien der Schachgeschichte wird immer wieder auf die folgende Glanzleistung von Exweltmeister Alexander Aljechin verwiesen. Er bezwang damit seinen zweimaligen WM-Herausforderer Jefim Bogoljubow.
Bogoljubow – Aljechin, Hastings 1922

Eine seltene Ehre wurde auch der folgenden Partie zuteil. Weltmeister Anand nannte sie die beste Partie, die er je gesehen hätte. Selbst wenn das vielleicht etwas übertrieben ist, beeindruckt es schon, wie drei schwarze Leichtfiguren (darunter das Läuferpaar) gegen Dame, Turm und ebenfalls drei gegnerische Leichtfiguren triumphieren.
Gormally – Sutovsky, Gibraltar 2005

Ein ähnliches Urteil fällte Weltmeister Aljechin über die folgende Kombination des deutschen Meisters Hugo Hussong (1902 – 1943).
Herrmann – Hussong, Deutschland 1930

Eine bemerkenswerte Fülle von Kombinationsmotiven zeigt der Spanier Ponce-Sala in der folgenden Partie. Die Damenopfer mit Grundreihenmatt-Drohung erinnern an die berühmte Partie Adams – Torre. Wie sehen aber auch ein Verstellungsopfer und eine Zwickmühle. Und auch die alte Regel: "Schlage nie auf b2" bewahrheitet sich einmal mehr.
Ponce-Sala – Parpal, Barcelona 1950

Es folgen zwei herrliche Kombinationen des deutschen Meisters Ludwig Engels (1905 – 1967). Er gehörte vor allem in den 1930er Jahren zu den stärksten Spielern unseres Landes. 1939 trug er maßgeblich dazu bei, dass Deutschland die Schacholympiade in Buenos Aires gewann. Engels holte dabei 14 Punkte aus 16 Partien. Während des Turniers brach allerdings in Europa der Zweite Weltkrieg aus. So blieben die deutschen Spieler in Südamerika. Engels gehörte später zu den stärksten Spielern seiner neuen Heimat Brasilien.
Engels – Maroczy, Dresden 1936
Bei diesem Turnier in Dresden wurde Ludwig Engels Zweiter hinter Weltmeister Aljechin, dem er die einzige Niederlage zufügen konnte. Sein Gegner in dieser Partie kam auf Platz 3.
Die folgende Partie spielte er in Südamerika gegen eine Gruppe schwächerer Spieler.
Engels – NN, 1943




  Endspiel intensiv
Starker Läufer – Schwacher Springer

Endspiele, in denen beide Seiten neben der Bauernmasse noch je eine Leichtfigur besitzen, sind relativ häufig. Es kommt dann darauf an, die spezifischen Stärken des Läufers und des Springers zu erkennen und einzusetzen bzw. die Schwächen der gegnerischen Leichtfigur auszunutzen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Bauernstruktur zu.
Das macht die Sache besonders schwierig: Oft muss man schon beim Abtausch im Mittelspiel erkennen, ob im verbleibenden Endspiel ein Läufer oder ein Springer von Vorteil wäre.

Heute und in der folgenden Trainingseinheit wollen wir Endspiele untersuchen, die durch die spezifische Stärke einer Leichtfigur entschieden werden. Zunächst sehen wir Partien, in denen sich der Läufer als überlegen erweist.
Das Trainingsmaterial befindet sich in einem eigenen Dokument:
Starker Läufer – Schwacher Springer




  Eröffnungsfallen und Kurzpartien
Heute: Die ungedeckte Dame auf d4

Das heutige Motiv sieht man (leider) recht oft, vor allem in Kinderturnieren. Es basiert darauf, einer Figur (und zwar ausgerechnet der Dame) mit Tempo die einzige Deckung zu entreißen. Im Englischen ist dafür der schöne Begriff removing the guard gebräuchlich.
Meist wird die Dame unter dem Vorwand eines Bauernopfers ins Zentrum gelockt. Dann wird mit Schachgebot die Deckungsfigur - meist ein Springer – vom Brett geholt und anschließend die nun ungeschützte Dame einkassiert.

Sehen wir den Damenverlust zunächst sozusagen in Reinkultur:
Maier – Bellahcene, Frankreich 2006
Interessant hieran ist auch, dass zunächst Schwarz eine Deckungsfigur (des Bauern d4) entfernt, dann aber selbst diesem Manöver zum Opfer fällt. Sozusagen gegenseitiges "removing the guard" – oder, wie es im deutschen Sprichwort heißt: "Wer ander'n eine Grube gräbt…"

Zuletzt sah ich unser Motiv in einer Partie der Berliner Meisterschaft der Schüler U14.
Bissantz – Peil, Berlin 2007
Im nächsten Beispiel durfte Schwarz den angebotenen Bauern sogar schlagen, nur eben nicht mit der Dame.
Pertl – Foltyn, Tschechien 2001

Recht zahlreich sind auch die Fälle, in denen der Angriff auf die Deckungsfigur erst noch herbeigeführt werden muss. Logischerweise muss auch das mit einem Schachgebot verbunden sein. Solche Motive ergeben sich oft bei einer typischen Bauernstruktur aus der Französischen Verteidigung.
Haney – Boronka, USA 1999

Zum Schluss eines der seltenen Beispiele, in denen Schwarz auf bekannte Art die Dame gewinnt.
Senne – Hulm, Deutschland 2004




  Eine berühmte Endspiel-Studie

Der russische Studienkomponist Leonid Kubbel (1891 – 1942) hat viele interessante Schachaufgaben entwickelt. Heute sehen wir seine wohl berühmteste Studie, die bei jungen wie erfahrenen Schachspielern immer wieder für Aufsehen und Begeisterung sorgt.
Wenn ich sie im Training vorstelle, bringe ich zunächst zur Einführung eine "entschärfte" Version, bevor sich die ganze Schönheit von Kubbels Geniestreich entfalten darf.
Vorstudie zu Kubbels berühmter Aufgabe

Nun setzen wir den weißen d-Bauern um ein Feld nach hinten und schon haben wir Leonid Kubbels berühmte Studie vor uns. Das Problem ist das gleiche: Weiß hat zwar klaren Materialvorteil, muss aber den gegnerischen Freibauern aufhalten. Man überzeugt sich leicht, dass der eben gesehene Gewinnweg diesmal nicht funktioniert – Weiß hat dafür ein Tempo zuwenig.
Studie von Leonid Kubbel, 1922

Der Autor Christian Hesse hat für den weißen Gewinnweg in dieser Studie – mit dem einleitenden völlig überraschenden Springeropfer – eine treffende Beschreibung gefunden: Weiß begeht zunächst Selbstmord und setzt dann aus dem Jenseits noch matt.




  Schach-Spielarten

Heute: Taschenspringerschach

Beim Taschenspringerschach – englisch: Pocket Knight Chess besitzt jeder Spieler einen zusätzlichen Springer, den er zu beliebiger Zeit statt eines gewöhnlichen Zuges auf ein freies Feld setzen kann. Die weiteren Regeln unterscheiden sich nicht von denen herkömmlicher Partien.
Das Spiel war im frühen 20. Jahrhundert populär. Es gab vor allem in Deutschland und den Niederlanden große Turniere (Berlin, 1910 mit über 150 Teilnehmern).

Wesen des Spiels Der zunächst nicht auf dem Brett präsente Springer muss immer in die Variantenberechnungen einbezogen werden.
Regel-Besonderheiten Es gelten die normalen Schach-Regeln
Varianten Eine ganze Reihe im Detail abweichender Regeln ist bekannt. So kann der Taschenspringer eine zusätzliche Figur (also ein dritter Springer) sein, oder aber zu Beginn der Partie einer der beiden "normalen" Springer vom Brett genommen werden. Auch das Spiel mit je zwei Taschenspringern ist möglich.
In der häufigsten Spielvariante darf man den Springer ohne weitere Restriktionen einsetzen. Es kann jedoch auch verboten werden, mit dem betreffenden Zug ein Schach zu bieten. Auch die Variante, dass ein Springer nicht zur Verhinderung der gegnerischen Rochade eingesetzt werden darf, ist bekannt.
Schließlich ist es natürlich auch denkbar, statt des Springers eine andere Figur "aus der Tasche" zu holen. Die weitaus größte Bedeutung unter diesen Varianten hat aber das Taschenspringer-Schach erlangt.
Internet-Link Auf der vorzüglichen Chessvariants-Seite gibt es auch einen Abschnitt zum Pocket Knight Chess. Dort kann man in einem kleinen Java-Applet auch Partien gegen den Computer spielen.
Pocket Knight bei Chessvariants.org



  Was ist eigentlich …?

… eine Beratungspartie? Was sonst im Schach streng verboten ist, ist hier erlaubt oder sogar gewünscht – nämlich, dass sich die Spieler einer Seite untereinander beraten.
Es gibt verschiedene Formen von Beratungspartien:

Aber Vorsicht: Für alle Beratungspartien gilt die alte Weisheit "Viele Köche verderben den Brei."

Complete Chess oder Advanced Chess? Beide Begriffe bezeichnen Spielarten, bei denen sich die Spieler zwar normal am Brett gegenüber sitzen, aber zusätzlich Computerprogramme zur Hilfe nehmen dürfen. Während beim Advanced Chess die Bedenkzeit stark eingeschränkt ist, wird Complete Chess mit klassischer Turnierbedenkzeit gespielt.
Eine interessante Variante ist auch das Dreihirn. Der Spieler benutzt zwei Schachprogramme und wählt aus deren Vorschlägen einen Zug aus.

eine PGN-Datei? PGN (= "portable game notation" also "transportierbare Partieaufzeichnung") ist ein Dateiformat, mit dem Schachpartien zwischen verschiedenen Rechnern ausgetauscht oder über das Internet verbreitet werden können. Alle gängigen Schachprogramme – von den Marktführern wie "Fritz" bis hin zu Freeware-Angeboten – können PGN-Dateien lesen und meist auch erzeugen. Andererseits enthält eine PGN-Datei die Partienotation auch als Klartext, kann also auch ohne jedes Schachprogramm mit einem einfachen Text-Editor gelesen werden. Wegen ihrer universellen Struktur verbinden PGNs auch Schachprogramme verschiedener Rechnerarchitekturen und Betriebssysteme. Schließlich sind sie vergleichsweise klein und daher auch für den Versand per Email bzw. den Download aus dem Internet geeignet. Die PGN-Datei der Datenbank dieser Trainingsmaterialien mit bisher knapp 1000 Partien ist nur 1 Megabyte groß – nach ZIP-Komprimierung nur ca. 400 Kilobyte.




  Nachschlag

Wieder wollen wir uns einige neue Beispiele zu bereits früher besprochenen Themen ansehen.

Zwei wichtige Themen aus Bauernendspielen – den Bauerndurchbruch und den entfernten Freibauern haben wir in den Trainingseinheiten 15 bzw. 28 besprochen. Der niederländische Autor Tim Krabbé weist auf ein interessantes Stellungsbild hin, das beide Motive verbindet und offenbar selbst für erfahrene Spieler schwer zu erkennen ist.
Unter den ca. 30 Fällen aus mehr oder weniger hochkarätigen Turnieren wurde nur in weniger als 10 Partien das gewinnbringende Manöver gefunden. Es lohnt sich also, in die Feinheiten einzusteigen, damit man im richtigen Moment das Muster erkennt.
Sehen wir ein Beispiel:
Andersen – Matthiesen, Dänemark 1997
Das Motiv wurde übrigens bereits 1888 von dem Italiener Salvioli gezeigt.
Studie von Salvioli, 1888

Ein Bauern-Durchbruch war auch das Motiv, mit dem mein Gegner die folgende Partie hätte gewinnen können. Er versäumte diese Gelegenheit. Die Partie ist in ihrer Klarheit und Berechenbarkeit aber ein sehr lehrreiches Beispiel für richtige (und falsche) Endspielführung.
Binder – Alevizakis, Berlin 2006

Aus Trainingseinheit 22 kennen wir als wichtiges Verteidigungsmotiv den Festungsbau. Aktuell erregte ein Festungsbau in der Partie zweier junger Top-Großmeister Aufsehen. Der erst 17jährige Sergej Karjakin verteidigte sich gegen die Nummer 11 der Weltrangliste erfolgreich, durch Aufbau einer Festung.
Radjabow – Karjakin, Niederlande 2007
Die Festung ist übrigens identisch mit jener der Partie Flohr – Lilienthal vom WM-Kandidatenturnier 1950, die wir aus Trainingseinheit 22 kennen.
Bemerkenswert ist auch, dass Schachprogramme mit solchen Stellungen noch immer ihre Probleme haben. Fritz zeigt riesigen Vorteil für Weiß an. Spielt man die Position aber gegen ihn aus, macht er keinerlei Fortschritte.

In Trainingseinheit 38 sahen wir das Motiv der "Rolltreppe". Ein weiteres Beispiel – ähnlich dem ersten dort vorgestellten - soll dies ergänzen.
Place – NN, Paris 1922

Und hier noch ein Nachschlag zum Thema "Kollineare Züge" aus Training Nr.40. Wieder einmal zeigt sich, wie schwer solche Züge in der Vorausberechnung zu erkennen sind – denn hinterher ist alles ganz einfach… Der Sieger dieser Partie war der Top-Spieler Argentiniens in den 1920er und 30er-Jahren.
Allerdings werden wir sehen, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Beide Spieler lassen bessere Chancen aus und der vorletzte Fehler gewinnt.
Grau – Guerra, Argentinien 1921




  Hausaufgabe

Hier nun die Lösung zu der kleinen Knobelei aus Nr.41. Diesmal war nach Zügen gefragt, die eine einzige gegnerische Figur zugleich fesseln und entfesseln. Man ahnt schon, dass auch hier der En-Passant-Zug im Spiel sein musste.
Der geniale holländische Autor Tim Krabbé hat auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Zwei Beispiele sollen solche Situationen verdeutlichen. Sie sind über den vordergründigen Effekt hinaus auch schachlich interessant.
Die erste Stellung ist eine Aufgabe, die 1902 in Dänemark veröffentlicht wurde. Im zweiten Beispiel standen sich zwei britische Großmeister in einer wichtigen Turnierpartie gegenüber.
Aufgabe von O. Sommerfeldt, Matt in 2 Zügen
Plaskett – Parker, England 1991




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Thomas Binder, 2007