Trainingsmaterial Nr. 54

Inhaltsverzeichnis

Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 27
Sprengungszüge mit dem Randbauern
Zwei Freibauern und ihr Abstand
Eröffnungs-Übersicht "Indisch"
Zugzwang-Nachschläge
"Dead Reckoning"
Schach-Links – Folge 20




Eröffnungsfallen und Kurzpartien
Heute: Fallen-Mix – Teil 1

Beim Stöbern in den Tiefen des Video-Portals YouTube findet man zahlreiche kurze Schach-Lektionen unterschiedlichen Niveaus.
Einige Autoren haben sich auf die Zusammenstellung von Eröffnungsfallen spezialisiert.

Unser erstes Beispiel ist nach dem altehrwürdigen englischen Meister James Mortimer (1833 – 1911) benannt. Die Mortimer-Falle ergibt sich in einer Variante der spanischen Partie.
Die Mortimer-Falle
Hier sahen wir übrigens das Musterbeispiel einer Falle: Hätte Weiß nicht gierig nach dem Bauern e5 gegriffen, wäre Schwarz nach seinem passiven Springerzug wohl eine etwas schlechtere Stellung verblieben.

Die nächste Kombination wird von einigen Kommentatoren als "Die Angelrute" bezeichnet. Wir werden gleich mehrere alte Bekannte wiedertreffen: das passive Opfer auf g4 und das erstickte Matt.
Die "Angelrute"

Eine weitere Falle ist nach dem mehrfachen kanadischen Meister Magnus Smith benannt. Sie ergibt sich in der Sosin-Variante der Sizilianischen Eröffnung.
Die Magnus-Smith-Falle

Auch nach dem Berliner Spieler Hermann Halosar wurde eine Eröffnungsfalle benannt. Er hatte seine beste Zeit um 1940. "Seine" Falle ergibt sich im Blackmar-Diemer-Gambit.
Die Halosar-Falle

Vermutlich nach einer Gestalt aus dem Film "Star Wars" ist die Queen-Amidala-Falle benannt. Sie entsteht in der Damenindischen Verteidigung.
Die Queen-Amidala-Falle

Auch das folgende Motiv sollte man gesehen haben. In der Turnierpraxis wurde es bislang zweimal angewendet. 1997 gewann der Internationale Meister Peter Horvath damit eine Kurzpartie.
Die Horvath-Falle




Sprengungszüge mit dem Randbauern

Ein häufig nützliches Motiv sind Sprengungszüge mit dem Randbauern auf der a-Linie. Das Ziel besteht eigentlich immer darin, die gegnerische Bauernstruktur zu schwächen und den verbleibenden schwachen Bauern zu belagern oder zu erobern.
Es gibt keinen typischen Gewinnweg sondern eben nur diese Gemeinsamkeit. Mir ist aufgefallen, dass ich in eigenen Partien relativ oft mit diesem Motiv in Vorteil kommen konnte.

Sehen wir uns also einige Partiefragmente dazu mit knappem Kommentar an:
Binder – Eberlein, Berlin 2010
Binder – Nazareth, Berlin 2007
Binder – Schönherz, Berlin 2011
Binder – Triebus, Berlin 2006
Binder – Tippe, Berlin 2009




Zwei Freibauern und ihr Abstand

Betrachtet man Bauernendspiele, in denen eine Seite zwei Freibauern besitzt, die aber (noch) nicht unmittelbar vom eigenen König unterstützt werden, so kommt dem Abstand dieser Bauern eine wichtige Bedeutung zu.

Bild Verbundene Freibauern

Verbundene Freibauern sind in jedem Endspieltyp ein gewaltiger Trumpf. Sie schützen sich gegenseitig und müssen vom gegnerischen König unter Kontrolle gehalten werden. Das Beste, was der Verteidiger erreichen kann, ist eine Stellung wie auf nebenstehendem Bild. Der Vormarsch der Bauern ist im Moment unterbunden. Andererseits kann Schwarz den hinteren (ungeschützten) Bauern nicht schlagen, weil dann der vordere Freibauer unaufhaltsam zur Grundreihe zöge.
Wenn Schwarz hier keine anderen Vorteile – z. B. gleichwertige Freibauern in anderen Bereichen des Brettes – hat, muss er tatenlos zusehen, wie sich der weiße König annähert und letztlich den Vormarsch seiner Bauern unterstützt.

Eine Linie Abstand

Das Deckungsmotiv bei verbundenen Freibauern dürfte allgemein bekannt gewesen sein, gehört sozusagen zum Kleinen Einmaleins des Schachspielers. Weniger bekannt ist überraschend, dass sich zwei Freibauern auf ähnliche Weise indirekt beschützen können, auch wenn zwischen ihnen eine Linie Abstand liegt.
Ein schönes Beispiel dafür zeigt das folgende Endspiel:
Matwejew – Denischew, Russland 2009

Wenn beide Bauern auf diese Weise die 6. Reihe erreichen, kommen sie sogar ohne königliche Unterstützung ins Ziel.
Lehrbeispiel nach Jeremy Silman

Zwei Linien Abstand

Merkwürdigerweise ist genau beim Abstand von zwei Linien der Gewinn für den Angreifer am schwierigsten, die Hoffnung des Verteidigers am größten.
Auch die folgenden Beispiele sind dem Standard-Endspielwerk von Jeremy Silman entnommen.
Lehrbeispiel nach Jeremy Silman – der Verteidiger hält remis
Versetzen wir den schwarzen König allerdings nur um ein Feld auf der gleichen Reihe, gewinnt Weiß doch. Der Unterschied beider Stellungen ist instruktiv. Er beruht schließlich "nur" darauf, ob der verbleibende weiße Bauer ein Rand- oder Mittelbauer ist.
Lehrbeispiel nach Jeremy Silman – der Angreifer gewinnt

Erreichen die Bauern unbeschadet die 5. Reihe, gewinnen sie auf jeden Fall und benötigen keine Unterstützung durch den eigenen König.
Lehrbeispiel nach Jeremy Silman – Bauern auf der 5. Reihe

Drei oder mehr Linien Abstand

Mit Freibauern, die soweit voneinander entfernt sind, ist der König auf jeden Fall überfordert.
Lehrbeispiel nach Jeremy Silman

Einige dieser Beispiele mögen zu trivial gewesen sein. Wir haben uns hier aber nur auf das Stellungsmerkmal "Freibauern und ihr Abstand zueinander" fokussiert. Manchmal haben wir bewusst auf die Annäherung des eigenen Königs verzichtet, wo diese möglich gewesen wäre. In der praktischen Partie kann es ja sein, dass der König an anderen Stellen des Brettes eigene Aufgaben zu erledigen hat, z. B. das Stoppen gegnerischer Freibauern.

Das Grundwissen um die Bewertung dieser Stellungen ist auch dann von Vorteil, wenn entsprechende Stellungen noch gar nicht auf dem Brett sind, sondern sich im Laufe einer Variante ergeben können. Dann ist es eben wichtig, vorher einzuschätzen (besser: "zu wissen"), welches Ergebnis die verbleibende Stellung haben wird.




Eröffnungsübersicht "Indisch"

Wir wollen uns einen kurzen Überblick über den Komplex von Eröffnungen verschaffen, den man unter dem Oberbegriff "Indisch" subsumiert. Ihnen allen sind die Anfangszüge 1.d2-d4 Sg8-f6 2.c2-c4 gemeinsam.
Die Bezeichung soll auf einen indischen Spieler namens Moheschunder Bannerjee verweisen. Er soll Mitte des 19. Jahrhunderts als Erster so gespielt haben. Allerdings hat sich auch die Erklärung behauptet, dass "Indisch" mehr als Synonym für "Exotisch" galt. Ihren Aufschwung erlebte diese Spielweise erst um 1920. Damals war die Idee in der Tat exotisch, das Zentrum nicht mit Bauern zu besetzen, sondern von den Flügeln aus unter Beschuss zu nehmen.
Wir wollen hier keine detaillierten Varianten analysieren, sondern lediglich einen Überblick über die wichtigsten "indischen" Eröffnungen geben.

Das Material hierzu ist in einem eigenen Dokument dargestellt:
Überblick – Indische Eröffnungen




Zugzwang-Nachschläge

Der "Zugzwang" gehört zu den prägenden Merkmalen nahezu jeden Enspiels. In den bisherigen Trainingseinheiten hat er immer wieder eine zentrale Rolle gespielt. Die Motive sind dabei so vielfältig, dass eine geschlossene Darstellung als Einzelartikel kaum möglich ist.
Andererseits überrascht es immer wieder, wenn sich der Zugzwang als Schlüssel zur Lösung der Probleme in ganz unterschiedlichen Stellungen erweist. Manchmal sind es Situationen, in denen man nur sehr schwer auf die Idee kommt, den Zugzwang als Kampfmittel einzusetzen. Solche verblüffenden Lösungen wollen wir uns heute ansehen.

Zunächst ein Bauernendspiel aus der Oberliga Württemberg. Wir werden sehen, dass das Zugzwangs-Motiv die scheinbar offensichtliche Einschätzung der Position völlig verändert.
Messner – Bader, Deutschland 2010
Eine unerwartete Wendung nimmt auch die folgende Partie. Und auch hier ist es wieder so, dass sich die naheliegende Bewertung der Stellung als völlig falsch erweist. Am Brett sitzen zwei der besten Schachspieler unserer Tage.
Schirow – Aronjan, Moskau 2006

Schließlich ein Blick zum Viertelfinale um die Herausforderung des Weltmeisters. Nach unentschiedenem Match musste die Entscheidung im Schnell- bzw. Blitzschach fallen. Die folgende Blitzpartie zwischen dem Aserbeidschaner Radjabow und Ex-Weltmeister Kramnik blieb vor allem in Erinnerung, weil sie nach einem Defekt der Schachuhr unterbrochen werden musste. Als das Problem gelöst war, fand Kramnik einen schönen Weg, seinen Gegner in Zugzwang zu bringen.
Kramnik – Radjabow, Russland 2011




"Dead Reckoning"

Eine aktuelle Präzisierung der Schachregeln durch den Weltverband FIDE hat interessante Auswirkungen nicht nur auf das Turnierspiel, sondern auch auf eine ganz neue Klasse von konstruierten Schachaufgaben. In Regel 5.2b ist seit einigen Jahren folgendes festgelegt: "Die Partie ist remis, sobald eine Stellung entstanden ist, in welcher keiner der Spieler den gegnerischen König mit irgendeiner Folge von regelgemäßen Zügen mattsetzen kann. Eine solche Stellung heißt "tote Stellung". Damit ist die Partie sofort beendet…". Die Formulierung "Folge von regelgemäßen Zügen" schließt ein, dass man unterstellt, der Gegner könne auch sehr schlechte Züge machen. Wir werden darauf zurück kommen. Im trivialen Fall sind von dieser Regel also Stellungen wie "König gegen König und Läufer" erfasst. Hingegen ist im Endspiel "König gegen König und zwei Springer" zwar für die stärkere Seite kein Matt zu erzwingen, wohl aber ist es möglich, wenn der Verteidiger sich sehr dumm anstellt. Diese Konstellation wäre also von Regel 5.2b nicht erfasst.

Für den Turnierspieler bedeutet der Satz "Damit ist die Partie sofort beendet", z. B. dass er in einer solchen Situation nicht mehr durch Zeitüberschreitung oder Handy-Klingeln verlieren kann. Manchmal ist die Lage aber nicht ganz so trivial:
Regeldiskussion nach einer Studie von Elkies
Wenn man die Regel 5.2b konsequent auslegt, ist die Partie bereits in der hier angegebenen Anfangsstellung mit einem Remis beendet. Es ist eine "tote Stellung", weil alle regulären Zugfolgen zum Remis führen. Wenn also im Text von "einzigen Zügen" die Rede ist, wären diese genau genommen am Brett in einer Turnierpartie gar nicht mehr auszuführen.

Die vorstehende Analyse führt uns zu einem trivialen, aber hilfreichen Lehrsatz: "Wenn aus einer gegebenen Stellung alle regelgemäßen Züge zu toten Stellungen führen, so ist bereits die betrachtete Stellung eine tote Stellung."

Bild Amüsanterweise führt diese Laune der Schachregeln zu einer neuen Klasse von Aufgaben, die eine gewisse Verwandschaft zum Retro-Schach aufweisen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass man die Regel 5.2b in die Lösung einbeziehen muss. Dafür hat sich der Begriff Dead Reckoning eingebürgert. Protagonist dieser Überlegungen ist Andrew Buchanan. Ich habe im nächsten Abschnitt die Adresse seiner Homepage angegeben. Dort kann man sich zu diesem Thema weiter informieren. Hier sollen nur ein paar Andeutungen genügen. In Deutschland hat der leider bereits verstorbene verdienstvolle Schachtrainer Wilhelm Schlemermeyer das "Dead Reckoning" publik gemacht.

Sehen wir das nebenstehende Diagramm, so wird uns die damit verbundene Frage verwundern. Sie lautet ganz einfach: "Wer ist am Zug?". Offensichtlich haben wir eine "tote Stellung" vor uns. Dann ist die Frage "Wer ist am Zug?" schon mal nicht ganz korrekt und muss durch "Wer hat zuletzt gezogen?" ersetzt werden.
Untersuchen wir also, ob Schwarz zuletzt gezogen haben kann. Dann hat er seinen König nach a8 gezogen. Wenn dieses Feld vorher leer war, hatten wir bereits "König gegen König" auf dem Brett, was natürlich auch eine "tote Stellung" war. Die Partie war damit schon beendet und Schwarz konnte gar nicht mehr nach a8 ziehen. Also müsste er auf a8 eine weiße Figur geschlagen haben. War dies ein Läufer oder Springer, hatten wir eine Stellung, in der Weiß auch mit Unterstützung seines Gegners nicht mehr mattsetzen kann – also eine "tote Stellung". Auch in diesem Fall war die Partie schon beendet und Schwarz konnte nicht mehr nach a8 ziehen. Folglich stand auf a8 wohl eine Dame oder ein Turm und bot dem schwarzen König Schach. Dabei ist es ganz egal, ob der König auf a7 oder b8 gestanden hat (andere Felder können es nicht gewesen sein). In beiden Fällen hatte Schwarz nur einen regelgemäßen Zug: Er musste die schachbietende Figur schlagen. Damit ist aber auch die Stellung mit der Schwerfigur bereits "tot", denn der einzige legale Zug führt wiederum zu einer "toten Stellung".
Zusammenfassend wissen wir nun, dass sich unsere Stellung nicht durch einen schwarzen Zug aus einer "lebenden" Vorgängerstellung erreichen lässt. Also muss zuletzt Weiß gezogen haben. In der Tat kann man eine Stellung konstruieren mit dem weißem König auf d5 (oder anderen Feldern in der Umgebung von c6) und einem schwarzen Turm auf c6. Weiß hat Kd5xc6 gezogen und wir erreichen die "tote" Endstellung. Was macht den Unterschied zum schwarzen König aus? Nun – Weiß war nicht gezwungen, den Turm zu schlagen. Er hätte auch Kd5-d4 spielen (und die Partie verlieren) dürfen…

Das war nur ein ganz kleiner Blick in eine überraschend vielseitige Welt dieser neuen Aufgabenklasse. Die Homepage von Buchanan sei nochmals empfohlen.




Schach-Links

Nun folgen wieder einige Empfehlungen zum Surfen im weltweiten Netz. Leider haben manche gute Seiten eine recht kurze Halbwertszeit. Deshalb sollte man bezüglich der früher vorgestellten Seiten auch auf den Hauptseiten des Trainingsbereichs nachschlagen. Dort werden diese Angaben regelmäßig aktualisiert.

URL Erklärung
Andrew Buchanan Homepage von Andrew Buchanan (siehe vorstehenden Beitrag). ENGLISCH
Virtuelles Schachmuseum Großartig gestaltete Seite. Das virtuelle Schachmuseum lädt zu einem Rundgang ein, bei dem alle Aspekte des Spiels zu ihrem Recht kommen.
Schachfiguren-Museum Noch ein virtuelles Museum. Hier geht es mit wissenschaftlicher Akribie um Figuren aus aller Welt und allen Zeiten. ENGLISCH
Schach-Postkarten Die Seite stellt uns eine riesige Zahl von Postkarten mit – meist unterhaltsamen – Schachmotiven vor.
Kenilworth Chess Club Interessante Fachartikel und Trainingsmaterial auf der Seite eines amerikanischen Schachklubs. ENGLISCH
Youtube Mittlerweile gibt es auf dem internationalen Videoportal jede Menge Schach-Lehr-Videos zu allen Bereichen – von Eröffnungsfallen bis zum Mattsetzen mit Springer und Läufer. Das Niveau ist unterschiedlich. Wie im richtigen Leben findet man renommierte Trainer und armselige Selbstdarsteller. Man sollte ein wenig Englisch verstehen…



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Thomas Binder, 2011