Trainingsmaterial Nr. 57

Inhaltsverzeichnis

Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 21
Kollineare Züge – Teil 2
Der Bauerngabel-Bluff
Eröffnungsfallen und Kurzpartien – Folge 29
Wie wird man ein starker Schachspieler?
Rekord-Update – Blindsimultan




Glanzstücke der Schachgeschichte

Das erste Beispiel soll uns daran erinnern, welch faszinierend kuriose Situationen sich auf unseren 64 Feldern immer wieder ergeben. Die seltsame Stellung hätte sich in einer Partie der Schweizer Meisterschaft 1991 entwickeln können.
Züger – Landenbergue, Schweiz 1991

Eine nette Kombination war bei der Deutschen Meisterschaft 2012 zu sehen. Der junge IM Julian Jorczik opferte Dame und Turm für ein seltenes Mattbild.
Dranischnikov – Jorczik, Deutschland 2012

Auf der Suche nach zu Unrecht vergessenen Perlen bin ich über die "Uruguayische Unsterbliche" gestolpert. Schwarz opfert zwei Qualitäten, bietet ein Damenopfer an, wirft zum Schluss noch zwei Leichtfiguren hinterher und stellt den Anziehenden undeckbar auf Matt.
Molinari – Roux Cabral, Montevideo 1943




Kollineare Züge II

Wir hatten die besondere Ästhetik kollinearer Züge bereits in Ausgabe 40 besprochen. Heute wollen wir uns eine Reihe weiterer Beispiele anschauen. Sie sind dem großartigen Buch Invisible Chess Moves entnommen, in dem sich die Autoren Emmanuel Neiman und Yohanan Afek auf die Spur besonders schwer zu findender Züge begeben. Sie arbeiten eine Reihe von Kriterien heraus, warum ein Zug für das menschliche Gehirn so schwer zu erkennen ist.
Dass dies in besonderem Maße auf kollineare Züge zutrifft, hatten wir bereits erkannt und finden uns darin nun bestätigt.

Falls es noch eines Beweises für die besondere Schwierigkeit dieser Klasse von Zügen bedarf: Meist wurden sie auch von den Spielern der hier gezeigten Partien übersehen, kamen erst in der späteren (Computer-)analyse ans Licht.
Die Beispiele stehen für sich, so dass sich der Autor auf die Partiekommentare beschränken kann. Wir steigern die Schwierigkeit von Stellung zu Stellung. Anzumerken ist höchstens noch, dass Alexander Beljawski für mich das Schachidol meiner Jugend war und ich nun in der 57. Trainingseinheit Gelegenheit bekomme, eine Partie von ihm zu präsentieren – und nicht mal die hat er gewonnen…
Andersson – Mestel, London 1982
Bagirow – Cholmow, Sowjetunion 1961
Beljawski – Smeets, Niederlande 2007
Variante zur Partie Nowikow – Efimenko, Moskau 2010




Der Bauerngabel-Bluff

Bild Es ist Zeit, eine taktische Wendung zu demaskieren, die sich vor allem im Kinderschach großer Beliebtheit erfreut und gerade dort – zu Unrecht – sogar oft von Erfolg gekrönt wird. Aber auch unter durchaus erfahrenen Schachspielern gibt es den einen oder anderen, der dieses Manöver zu seinem ständigen Repertoire zählt. Oft mit sichtlichem Selbstvertrauen vorgetragen, verfehlt es seine psychologische Wirkung nicht. Der schachliche Gehalt hingegen tritt dahinter weit zurück.
Nach wenigen Eröffnungszügen opfert sich der Springer für einen zentralen Bauern. Anschließend folgt eine Bauerngabel zur Rückeroberung des Materials. Das war es dann aber auch schon. Weitere Vorteile – materieller Natur oder strategischer Art – erlangt der "Angreifer" in aller Regel nicht. Mehr noch – wer es darauf anlegt, kann dieses Manöver eigentlich immer provozieren. Mein verehrter Trainer Manfred Pape pflegte zu solchen und ähnlichen Motiven zu sagen: "Das kannst du immer haben. Wenn das gut wäre, wäre am Schach was falsch.".

Sammeln wir also die Argumente, die gegen dieses Scheinopfer sprechen und uns die Angst vor ihm nehmen können.

Hatten wir soweit noch Beispiele, bei denen das Scheinopfer mit anschließender Bauerngabel zumindest spielbar war und keinen schweren Nachteil erbrachte, sehen wir nun noch einige Partien, in denen es eigentlich gar nicht klappen konnte. Wenn es also sogar eine taktische oder triviale Widerlegung gibt, ist die Partie schnell gelaufen. Diese Unsicherheit kommt dazu: Der "Angreifer" muss sich ganz sicher sein, dass er alle Möglichkeiten des Gegners gesehen und ausgeschlossen hat. Als Faustregel kann man annehmen, dass solche Widerlegungen umso mehr lauern, je weiter man sich von den Standardstellungen – siehe z. B. obiges Beispiel 1 – entfernt hat.

Schon vor der Veröffentlichung dieses Materials erntete ich einigen Widerspruch zu meiner Position über den Bauerngabel-Bluff. Dies nehme ich gerne auf, wie ich mich ja über jede kritische Anregung freue.
Deshalb sei noch einmal klar gesagt: Die hier gezeigte Bauerngabel hat natürlich an vielen Stellen ihre Berechtigung. Mir geht es darum, sie ein wenig zu "entzaubern" und gerade unerfahrenen Spielern die Angst und den Schrecken zu nehmen, die sich immer wieder zeigen, wenn man unvorbereitet mit dem Motiv konfrontiert wird.

Natürlich gibt es auch Varianten, in denen das Scheinopfer mit anschließender Bauerngabel als gute Lösung gilt. Eine klare Vorentscheidung der Partie ist es aber auch dann in der Regel nicht. Sehen wir – gewissermaßen zur "Versöhnung" – ein Beispiel:
Beispiel 7




Eröffnungsfallen und Kurzpartien
Heute: Ein seltenes Matt mit Turm und Springer

Bild In einer Partie der Vereinsmeisterschaft gelang mir unlängst ein schneller Sieg mit einem seltenen Mattbild. Die anschließende Suche in der Mega-Datenbank förderte ein knappes Dutzend Vorbilder zutage. Dabei wurden auch die Muster erkennbar, die zu diesem Gewinn führen.
Sehen wir zunächst meine Partie, welche der Auslöser für diese Betrachtung war. Der Respekt vor dem fast 85jährigen Nestor unseres Schachvereins verbietet ausnahmsweise die Nennung des Verlierers.
Binder – NN, Berlin 2012

Sehen wir uns nun einige weitere Beispiele für dieses kuriose Finale an.
Gleich drei Partien fand ich, in denen die schwarze Dame nach g6 oder b6 abgedrängt wurde. Kurioserweise endeten alle mit Matt im 11. Zuge. Ein Exemplar soll genügen:
Golub – Titowa, Ukraine 2007
Und noch ein Bild zum gleichen Thema:
Sakthivel – Rozenblat, Australien 2001

Auch mit Schwarz ist unser Motiv durchaus anwendbar. Im folgenden Partieschluss wird zunächst mit Gewalt die e-Linie geöffnet.
Pena – Garcia, Peru 1997

Schließlich fand ich einige Beispiele, bei denen der Angreifer ein weiteres Fluchtfeld mit dem Läufer kontrolliert.
Pasemko – Grebeniuk, Ukraine 2004




Wie wird man ein starker Schachspieler?

Die in der Überschrift gestellte Frage bewegt uns natürlich alle. Jeder Trainer wird seine eigenen Antworten darauf parat haben. Ich möchte die Empfehlungen des von mir sehr geschätzten amerikanischen Schachlehrers Dan Heisman vorstellen. Er stellte 24 Thesen auf, die ich hier gekürzt wiedergebe.
Lesen Sie also aufmerksam, was Heisman empfiehlt – und auch was er nicht empfiehlt: das Auswendiglernen von Eröffnungsvarianten zum Beispiel…

Ich habe dieses Material in ein eigenes Dokument ausgelagert:
24 Tipps von Dan Heisman




Rekord-Update – Blindsimultan

In Ausgabe 19 haben wir den Rekord im Blindsimultan dem Ungarn Janos Flesch zugeschrieben. Er hatte gleichzeitig gegen 52 Gegner gespielt, ohne das Schachbrett vor sich zu sehen. Allerdings blieb seinem "Rekord" die Anerkennung versagt. Flesch konnte die Mitschrift der Partienoationen konsultieren, was die Erinnerung und Vorstellungskraft eines Schachspielers natürlich erheblich verbessert. Auch weitere Ungereimtheiten lassen seine Leistung zumindest vor dem Auge der Rekordstatistiker zweifelhaft erscheinen.
So stand der offizielle Weltrekord nun bei 45 Partien (Miguel Najdorf). Stand – denn im November 2011 hat der deutsche FIDE-Meister Marc Lang die Höchstmarke auf 46 gleichzeitige Blindpartien geschraubt. Eine ganze Nacht währte sein anstrengender Auftritt. Mehrmals mussten Gegner ausgewechselt werden oder gaben auf, weil sie der Belastung nicht gewachsen waren bzw. ermüdeten. Der Simultanspieler aber hielt durch und erreichte immerhin 34½ Punkte, wobei er nur zwei Partien verlor.

Die Veranstaltung in Sontheim an der Brenz fand ein großes Medienecho und ist auch im Internet sehr gut dokumentiert. Wegen der notorischen Kurzlebigkeit von Online-Angeboten möchte ich hier keine einzelnen Links publizieren sondern den interessierten Leser auf die Suchmaschinen verweisen.

Seine schachlich bemerkenswerteste Leistung war wohl die folgende Kombination:
Gritsch – Lang, Deutschland 2011

Die beiden weiteren Beispiele mögen zeigen, dass das Erkennen taktischer Standardmotive auch dem Blindspieler die Arbeit wesentlich erleichtert.
Lang – Lind, Deutschland 2011
Lang – Jarchov, Deutschland 2011


Rekord-Update auch in Sachen Polygamie: Partien mit großer Damenanzahl auf dem Brett haben sich ja oft als Wunschdenken erwiesen, waren meist nur Analysen von Stellungen, die so nie wirklich auf dem Brett standen. Im Jahr 2009 ergab sich un Ungarn eine Partie mit sechs Damen, die in dieser Hinsicht wohl über jeden Zweifel erhaben ist. Bemerkenswert erscheint zudem, dass die sechs Damen recht lange auf dem Brett blieben, ehe man sich zu einem unspektakulären Remis herunter tauschte. Unsere Chronistenpflicht soll sich auch dieser Rekordpartie annehmen:
Szalanczy – Nguyen, Budapest 2009




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Thomas Binder, 2012