Trainingsmaterial Nr. 63

Inhaltsverzeichnis

Ein Endspiel mit ungleichen Läufern
Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 25
Wie funktioniert…
Endspiel – Der König im Mattkäfig
Eröffnung intensiv – Folge 18
Im Quiz-Format
Nachschlag
Schach-Links – Folge 21




Ein Endspiel mit ungleichen Läufern

Endspiele mit ungleichen Läufern sind immer remis. Scheinbar wird diese alte Weisheit auch durch die Spitzenpartie der Berliner U12-Meisterschaft bestätigt. Wir wollen uns die Schlussphase des Spiels aber etwas genauer anschauen und werden dabei einige überraschende Entdeckungen machen.
Sehen wir uns zunächst das Läuferendspiel ohne großen Kommentar in voller Länge an.
Heckmann – Roho, Berlin 2015 – Partiefolge

Bild Das sah alles folgerichtig aus. Es ist eine Bestätigung der alten Regel, wonach solche Endspiele immer Remis sind, wenn es dem Verteidiger gelingt, mit Läuferzügen entlang einer einzigen Diagonale alle Bauern zu kontrollieren. Doch die Stellung um den 46. Zug herum verdient noch einmal eine genauere Betrachtung. Hier haben nämlich beide Spieler kurze Zeit zu schematisch gedacht.
Als wesentlich erweist sich die Feststellung, dass Weiß den Zug c5-c6 im richtigen Moment machen muss – und Schwarz ihn verhindern sollte. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass der schwarze König durch den gegnerischen Läufer vom Weg in die Ecke a8 abgeschnitten ist.

Wie wir gleich sehen werden, hat Schwarz in der nebenstehend abgebildeten Stellung mit dem Läuferzug nach a8 einen Fehler gemacht, der zum Partieverlust führen konnte. Es ist im Moment wichtig, den Zug c5-c6 ein für allemal zu verhindern. Wie ist das möglich?
Heckmann – Roho, Berlin 2015 – 1. Entdeckung

Nachdem Schwarz den wichtigen Verteidigungszug gegen c5-c6 verpasst hat, ergab sich für Weiß ganz kurzzeitig die Chance, die Partie zu gewinnen. Wenn man die Geheimnisse dieses Endspiels verstanden hat, war es gar nicht so schwer…
Heckmann – Roho, Berlin 2015 – 2. Entdeckung




Glanzstücke der Schachgeschichte

Ein hübscher Partieschluss gelang 1933 dem in Frankreich lebenden Polen Salomon Kesten (auch "Kestenbaum") in Paris. Auf ein überraschendes Damenopfer folgt in der Hauptvariante ein Scherenmatt der beiden weißen Läufer.
Kesten – Tritch, Paris 1933

Eine Partie aus China nahm im Sommer 2015 ihren Lauf um die Schachwelt. Die Angriffsorgie des gerade 16jährigen Wei Yi gegen einen gestandenen kubanischen Großmeister braucht den Vergleich mit berühmten Vorbildern nicht zu scheuen.
Wei Yi – Bruzon, China 2015
Wie heute üblich werden solche Partien blitzschnell über das Internet verbreitet und von Enthusiasten wie Fachleuten weltweit sehr ausführlich analysiert. Der Kombinationswirbel von Wei Yi hält dieser harten Prüfung stand. Offenbar ist alles korrekt!




Wie funktioniert…

… das Skalitzka-System?

Turniergruppen mit drei Spielern bzw. Mannschaften sind der Albtraum jedes Turnierorganisators. Man braucht drei Runden und je ein Teilnehmer ist spielfrei. Zumindest für Mannschaftswettkämpfe bietet das Skalitzka-System einen interessanten Ausweg. Es wird von der FIDE offiziell anerkannt.
Benannt wurde das System nach dem tschechischen Schachfunktionär Karel Skalicka (1896 – 1979).
Bei diesem System kommt man mit zwei Durchgängen aus und hat am Ende – wie von Zauberhand – doch drei komplette Mannschaftskämpfe absolviert.

1. Durchgang 2. Durchgang
A1 – B1
A3 – B3
C2 – A2
C4 – A4
B2 – C1
B4 – C3
A2 – B2
A4 – B4
C1 – A1
C3 – A3
B1 – C2
B3 – C4
A – B C – A B – C
A1 – B1
A2 – B2
A3 – B3
A4 – B4
C1 – A1
C2 – A2
C3 – A3
C4 – A4
B1 – C2
B2 – C1
B3 – C4
B4 – C3
Wie geht das denn?

Das funktioniert, indem man die klassischen Mannschaftskämpfe zeitlich und räumlich auflöst.
Wir verdeutlichen dies an einem Turnier mit drei Mannschaften (A, B und C) an vier Brettern. Entsprechend heißen die Spieler gemäß der Stammaufstellung "A1, A2 … C3, C4". Sehen wir links die Ansetzungen der beiden Durchgänge (Quelle: Schiedsrichter-Handbuch der FIDE).

Extrahiert man daraus die passenden Partien, so ergeben sich drei vollständige Mannschaftskämpfe (rechte Tabelle). Die Hintergrundfarbe zeigt jeweils die Zuordnung der Partie zu den beiden Durchgängen.

Vorteile des Skalitzka-Systems

Die Vorteile des Skalitzka-Systems sind die Nachteile des "klassischen" Verfahrens:

Kompromisse des Skalitzka-Systems

Von "Nachteilen" will ich hier gar nicht sprechen, eher von Zugeständnissen, die man eben eingehen muss.

Fazit

Mannschaftsturniere mit drei Teams möchte man möglichst vermeiden. Ist das nicht möglich, stellt das Skalitzka-System eine interessante Alternative zur üblichen Austragungsform dar.




Der König im Mattkäfig

Bild Das heute vorgestellte Endspielthema haben wir bereits mehrfach gestreift. Im Turmendspiel steht die Umwandlung der Bauern im Blickpunkt, da denkt man nicht zuerst an Mattgefahren. Es gibt aber eine ganz spezifische Struktur, bei der wir gerade dafür unser Auge schärfen müssen.
Sie ist uns im Laufe der Jahre schon mehrfach begegnet. Zuletzt sahen wir eine entsprechende Partie in Trainingseinheit 59. Auch Ihr Autor selbst ist dem Matt im Käfig nur mit viel Glück entgangen, wovon Sie sich schon in Training 23 überzeugen konnten.

Zwei aktuelle Partien zeigen, dass durch Unachtsamkeit gegenüber diesem Mattmotiv das Spiel oft noch einen scheinbar widersinnigen Ausgang nimmt. Bevor wir also unsere Beispielsammlung ergänzen, wollen wir zunächst einen tieferen Blick darauf werfen, wie dieser Mechanismus funktioniert.

Die von den drei Bauern aufgespannte Struktur wird sich sehr oft ergeben. Wenn nun der hintere Bauer gedeckt ist und der – in diesem Falle schwarze – Turm die angrenzende Linie beherrscht, muss nur noch das Mattfeld ungedeckt sein. Dann gibt es kein Entrinnen mehr.
Das Feld zwischen den Bauern ist für den König absolut tabu. Meist hat der Angreifer sogar einen Zug lang Zeit, seinen hinteren Bauern zu decken oder den Turm in Position zu bringen – so auch in den beiden folgenden Partien.

Nun zu den beiden aktuellen Beispielen. Zunächst trifft es ein Nachwuchstalent bei der Deutschen U10-Meisterschaft. Dann gelingt einem spielstarken Amateur sogar der Sieg gegen einen Großmeister.
Bao Anh Le Bui – Röhr, Deutschland 2015
Meister – Bolk, Berlin 2015




Eröffnung intensiv – Schottisch

Aus dem Leserkreis dieser Seiten wurde ich gebeten, einmal etwas über die Schottische Eröffnung – genau genommen sind es zwei Eröffnungen – zu schreiben. Dem gehe ich gerne nach. Oft genug habe ich erlebt, wie junge Spieler, die mit den offenen Spielen eigentlich vertraut sind, bei dieser Eröffnung in Schwierigkeiten gerieten.
Sehen Sie die Einzelheiten in einem eigenen Dokument:
Schottische Partie und Schottisches Gambit




Im Quiz-Format

Bild Im Quiz-Format wollen wir uns heute auf eine Partie beschränken. Beim aktuellen Schach-Weltcup – ein Schritt auf dem Qualifikationsweg zur Weltmeisterschaft – ergab sich für den jungen holländischen Meister Anish Giri eine interessante Angriffsmöglichkeit in seiner Halbfinalpartie gegen Peter Swidler aus Russland.
In der abgebildeten Stellung kann Weiß durch das mit einem Damenopfer verbundene Läufermanöver 37.Ld2xg5 Ta2xe2 38.Lg5xf6 ein unabwendbares Matt mit Th1-h8 drohen.

Wie ist diese Idee zu bewerten?

  1. Geniale Idee – Weiß gewinnt.
  2. Schwarz kann sich retten, darf aber das Damenopfer nicht annehmen.
  3. Schwarz schlägt die Dame und kann das Matt trotzdem verhindern. Schwarz gewinnt.
  4. Die Angriffsidee von Weiß reicht (nur) zum Dauerschach.

Wenn Ihr euch eine Meinung gebildet habt, vergleicht bitte hier die Lösung:
Giri – Swidler, Baku 2015




Nachschlag

In Trainingseinheit 51 haben wir eindrucksvolle Königswanderungen in Partiephasen lange vor dem Endspiel betrachtet. Jetzt wurde ich durch die ausführliche Analyse in einer Schach-Zeitschrift auf eine Partie aus dem Interzonen-Turnier (WM-Qualifikation) 1987 aufmerksam. Neben der Königswanderung des ungarischen Top-Großmeisters hält sie viele weitere interessante Details bereit.
Portisch – Benjamin, Ungarn 1987
Zum Thema gehört auch eine ganz aktuelle Partie aus einem Großmeisterturnier in der Schweiz. Mit dem Tschechen Navara und dem Polen Wojtaszek trafen hier zwei gegenwärtige Weltklasse-Spieler aufeinander: Beide liegen in den Top-30 der aktuellen Weltrangliste!
Navara gewinnt die Partie nach einer unglaublichen Königswanderung über das ganze Brett. Wojtaszek hätte mehrmals die "Notbremse" zum Remis ziehen können. Es ist ihm jedoch nicht zu verdenken, dass er auf Gewinn weiter spielte. In der Tat wandelt der weiße König am Rande des Matt-Abgrundes.
Navara – Wojtaszek, Schweiz 2015
Daniel King bezeichnete dies als "one of the most extraordinary games, that has ever been played in tournament chess".
Natürlich wurde die Partie von Schachspielern weltweit ausführlich analysiert. Es nimmt nicht Wunder, dass im sinnvollen Zusammenspiel von großmeisterlicher Stärke und gekonntem Computereinsatz noch mehr Nuancen aufgespürt wurden, die in der Begeisterung der ersten Tage übersehen worden waren. So hat der deutsche Großmeister und Schachsoftware-Experte Rainer Knaak eine Möglichkeit entdeckt, wie Wojtaszek die Spielweise Navaras doch widerlegen konnte.
Navara – Wojtaszek, nach Rainer Knaaks Analyse
Nachtrag zum Nachtrag: Knaak hat inzwischen richtiggestellt, dass die Entdeckung nicht von ihm stammt, sondern auf einer in der Chessbase-Cloud gespeicherten Analyse beruht. Ihm bleibt das Verdienst, diese öffentlich gemacht zu haben. Uns bleibt einmal mehr die Erkenntnis, dass durch das Zusammenspiel vieler Computer und ihrer Benutzer neue Einsichten gewonnen werden können.


Einer sehr empfehlenswerten DVD des Großmeisters Stefan Kindermann entnehme ich ein instruktives Beispiel zum Erstickten Matt. Es handelt sich wohl um eine Lehrstellung ohne Vorbild in einer praktischen Partie. Stefan Kindermann erläutert sehr verständlich den Denkprozess, der zur Erkennung dieses Mattbilds führt.
Ersticktes Matt, Lehrbeispiel

Und hier ein Nachschlag zum Rasenmäher-Matt (siehe Trainingseinheit 45): Das Muster scheint perfekt zu passen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. In diesem Fall ließen sich aber beide(!) Spieler vom Glanz des Goldes blenden.
Samarin – Antoschin, Sowjetunion 1985

"KRISENHERD DAUERSCHACH" heißt ein sehr empfehlenswertes Buch von Lothar Nikolaiczuk. Das 2014 erschienene Werk ist meines Wissens die erste Arbeit, die sich allen Aspekten dieses ja doch recht häufigen Partieschlusses widmet. Wir haben uns das Dauerschach in Trainingseinheit 41 angesehen, ohne auch nur annähernd auf die vielen Facetten eingehen zu können. Zur allgemeinen Erheiterung möchte ich eine aktuelle eigene Erfahrung mit dem Phänomen Dauerschach einflechten. Sie entstammt allerdings einer freien Blitzpartie, ist also mit gewissem Augenzwinkern zu betrachten.
Binder – Agne, Berlin 2015




Schach-Links

Nach längerer Zeit gibt es heute wieder Hinweise auf ein paar Links zu interessanten Schachseiten im Internet. Ich erinnere daran, dass wir diese Hinweise im Trainingsmaterial nicht aktuell halten und die Verfügbarkeit der Seiten nicht regelmäßig prüfen.

Das Internet ist nun mal sehr schnell- und kurzlebig. Als ich die Arbeit an dieser Trainingseinheit begann, hatte ich eine sehr vielversprechende neue Schachseite hier aufgenommen. Ich stand sogar mit dem Betreiber in regem Kontakt. Doch inzwischen ist "Joes Schachblog" schon wieder von der Bildfläche – und aus nachfolgender Auflistung – verschwunden.

URL Erklärung
Das Liga-Orakel Eine nette Spielerei: Für viele höhere Schach-Ligen wird anhand der individuellen Spielstärke der Saisonverlauf vorhergesagt und diese Prognose regelmäßig aktualisiert.
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Glarean-Verlag Ein wenig Werbung in eigener Sache. Der Herderschach-Trainings-Autor rezensiert Schachliteratur und interviewt die Autoren-Kollegen…



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Thomas Binder, 2015