Das Tennison-Gambit ist eine kaum bekannte Eröffnung, die sich nach zwei verschiedenen Zugfolgen ergeben kann. Man erreicht
es entweder nach
1.e2-e4 d7-d5 -- 2.Sg1-f3 d5xe4 -- 3.Sf3-g5 oder nach Vertauschung der ersten weißen Züge mit
1.Sg1-f3 d7-d5 -- 2.e2-e4 d5xe4 -- 3.Sf3-g5.
Namensgeber war der Schach-Amateur Otto Tennison (1834 – 1909). Er stammte aus Dänemark, studierte in Deutschland und
lebte ab 1854 in den USA. Dort im Schachklub von New Orleans gehörte er um 1890 zu den Protagonisten der heute nach ihm benannten
Eröffnung. Herausragende Schacherfolge sind von Otto Tennison nicht überliefert.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen aber zahlreiche starke Spieler seine Idee auf und machten das Gambit hoffähig.
Das Tennison-Gambit ist (mit vertauschten Farben) der "kleine", aber ältere, Bruder des Budapester Gambits, welches mit
1.d2-d4 Sg8-f6 -- 2.c2-c4 e7-e5 -- 3.d4xe5 Sf6-g4 beginnt. Das weiße Mehrtempo ist hier freilich kein Vorteil, da
Schwarz (im Gegensatz zu Weiß im Budapester Gambit) den c-Bauern noch nicht gezogen hat und diesen also noch auf die 6. Reihe
stellen kann, wo er wichtige Defensivaufgaben erfüllt.
Wir haben bereits einige schnelle weiße Siege aus dem Tennison-Gambit gesehen, u.a. in Trainingseinheit Nr. 2 (ersticktes Matt) und
und Nr. 22 (Fesselung).
Bevor wir genauer in die verschiedenen Varianten einsteigen betrachten wir zwei eindrucksvolle Angriffspartien.
Keres – Teltvecker, 1933
Vazquez – Corzo, Kuba 1900
Sehen wir nun systematisch die wichtigsten Varianten. Nach den oben genannten Anfangszügen hat Schwarz zwei prinzipielle Möglichkeiten:
Wie in vielen Gambit-Eröffnungen ist es eine gute Idee, den Mehrbauern schnell abzugeben und damit die gegnerische
Entwicklung empfindlich zu stören. Im Tennison-Gambit tut Schwarz dies mit 3… e7-e5 4.Sg5xe4 f7-f5.
Möglicher Fortgang des Spiels nach 3… e7-e5
Diese Verteidigung gilt als unzureichend. Schwarz handelt sich am Königsflügel zu viele Schwächen ein. Ein eindrucksvolles
Beispiel für die Probleme der schwarzen Stellung mag genügen:
Möglicher Fortgang des Spiels nach 3… f7-f5
Dieses System ist sicher besser als es auf den ersten Blick scheint. Dennoch hat auch hier Weiß gute Chancen gegen die
schwach entwickelte Stellung des Gegners. Besonders interessant ist eine Variante, in der Weiß trotz klarem materiellem
Rückstand einen Damentausch anbieten kann.
Möglicher Fortgang des Spiels nach 3… Dd8-d5
Schwarz versucht, seinen Bauern mit Lc8-f5 zu verteidigen. Indem er diesen Zug sofort ausführt, vermeidet er die Einsperrung des Damenläufers, die sich nach Lf1-c4 und dem dann praktisch erzwungenen e7-e6 ergeben würde. Weiß hat jetzt die Auswahl zwischen drei wichtigen Zügen. Varianten wie 4.De2 oder 4.f3 sind von geringerer Bedeutung und führen oft zu Motiven, die auch an anderen Stellen zu sehen sind.
Die Stellung mit Lf5 hat aber auch einige Nachteile. Sie bietet Weiß die Möglichkeit zum Einschlag auf f7 mit nachfolgendem
effektvollem Einsatz der Dame. Wir haben dieses Motiv sowohl in Trainingseinheit 22 als auch hier in der Partie von Paul
Keres gesehen. Aber natürlich kann sich Schwarz aussichtsreich verteidigen.
Fortsetzungen nach 4.Lf1-c4
Schwarz kann sich hier also erfolgreich verteidigen, wenn er das Motiv kennt und richtig reagiert.
Dieser resolute Zug verlangt von Weiß eine kompromisslose Fortsetzung. Eric Schiller betrachtet g4 mit nachfolgendem Lf1-g2
und Angriff auf den schwachen Bauern e4 sogar als die einzige Möglichkeit an dieser Stelle. Allerdings hat seine Analyse
ein Loch.
Fortsetzungen nach 4.g2-g4
Dieser Zug entwickelt den Damenspringer mit Tempo (Angriff auf den Bauern e4). Er wird daher am häufigsten gespielt. Nach
der natürlichen Antwort Sg8-f6 kann Weiß zwischen verschiedenen Motiven wählen.
Fortsetzungen nach 4.Sb1-c3
Wir kommen nun zur häufigsten Spielweise für Schwarz. Schwarz verteidigt seinen Mehrbauern mit Entwicklungszügen, gibt ihn
schließlich aber auf und versucht, den weißen Springer auf e4 als Zielscheibe zu nutzen.
Fortsetzungen nach 3… Sg8-f6
Literatur über das Tennison-Gambit ist naturgemäß selten. Von John Lutes gibt es eine Monographie und der bekannte Trainer Eric Schiller hat eine grobe Übersicht veröffentlicht. Auch das deutsche Magazin "Randspringer" widmete sich der Eröffnung vor vielen Jahren. Viele Beispiele dieses kurzen Einstiegs basieren auf den genannten Arbeiten.
Das Tennison-Gambit ist zumindest als Überraschungswaffe auch in stark besetzten Turnieren eine gute Wahl. Nach langer Zeit
konte ich es im Offenen Berliner Qualifikationsturnier 2008 wieder einmal wirkungsvoll einsetzen.
Binder – Reiche, Berlin 2008
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