Wie wird man ein starker Schachspieler?
Die in der Überschrift gestellte Frage bewegt uns natürlich alle. Jeder Trainer wird seine eigenen Antworten darauf parat haben. Ich möchte die Empfehlungen
des von mir sehr geschätzten amerikanischen Schachlehrers Dan Heisman vorstellen. Er stellte 24 Thesen auf, die ich hier gekürzt und kommentiert
wiedergebe.
Lesen Sie also aufmerksam, was Heisman empfiehlt – und auch was er nicht empfiehlt: das Auswendiglernen von Eröffnungsvarianten zum
Beispiel…
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Analysiere so oft wie möglich mit stärkeren Schachspielern!
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Versuche, ihre Gedanken zu verstehen!
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Lerne, wie sie analysieren und wie sie die Stellung beurteilen!
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Spiele so viele Partien wie möglich mit langer Turnierbedenkzeit!
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Heisman rät explizit vor allem von Partien mit mittlerer Bedenkzeit (10 – 30 Minuten) ab.
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Als fortgeschrittener Spieler können auch Blitz- und Schnellpartien hinzu kommen!
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Soweit die wichtigen Turnierpartien mit einem Zeitzuschlag für jeden Zug gespielt werden, soll man auch bei Schnellpartien den gleichen Zuschlag
(Inkrement) wählen.
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Spiele gegen Menschen – nicht gegen Computer!
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Ein Ratschlag, der heute immer wichtiger wird. Die Versuchung ist einfach zu groß, sich an Partien gegen eine Maschine zu erfreuen. Doch nichts,
kann den Vergleich mit einem Menschen aus Fleisch und Blut ersetzen.
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Spiele vorwiegend gegen Spieler, die ETWAS besser sind als du selbst!
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Auch Partien gegen ETWAS schwächere Spieler sind sinnvoll und sollten im angemessenen Verhältnis zu den erstgenannten stehen. Dabei lernt man die
Realisierung klarer Vorteile (technischer Gewinn) und das Finden von Gewinnversuchen in ausgeglichenen Stellungen.
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Partien gegen DEUTLICH stärkere Gegner sind nur sinnvoll, wenn sich eine gemeinsame Analyse anschließt.
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Nutze jede Turniergelegenheit!
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Die praktische Erfahrung im Turnierspiel ist durch keine Trainingsmethode zu ersetzen.
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Ein ernsthaft an Verbesserung interessierter Spieler soll im Durchschnitt auf mindestens 2 ernsthafte Turnierpartien pro Woche kommen.
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Das sind 100 Partien im Jahr oder grob gerechnet 12 Turniere plus Mannschaftskämpfe. Ich weiß, dass es heute bei paralleler Belastung durch Schule,
Beruf, Familie und andere Hobbies kaum möglich ist, diese Belastung anzunehmen. Wer das nicht kann, muss aber auch wissen, dass er damit seinen
eigenen Leistungsanspruch entsprechend herunter schraubt.
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Tritt dem besten Schachklub am Ort bei!
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Ja – aber welches ist "der beste"? Hier ist auf vielfältige Kriterien zu schauen und letztlich soll man sich im eigenen Schachklub vor allem
wohl fühlen, sich auf jeden Spieltermin freuen.
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Kümmere dich nicht um deine Wertzahl!
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Auf lange Sicht wird deine DWZ oder Elo-Zahl deinen Leistungsstand korrekt darstellen.
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Achte auf gutes Zeitmanagement!
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Nutze die verfügbare Bedenkzeit (fast) vollständig aus.
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Spiele kein "Hoffnungsschach"!
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Erwarte also immer, dass dein Gegner auf bestmöglichem Niveau gegenhält.
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Lass dir nach der Partie die Gedankengänge des Gegners erklären!
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Stehe zu deinen Schwächen – und verbessere dich gerade auf diesen Gebieten!
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Studiere Partien, die ausführlich kommentiert sind!
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Dabei kommt dem Textkommentar eine besondere Bedeutung zu. Er hilft zum Verständnis der Stellung, der Stellungsbewertung und der Pläne.
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Ich beurteile ein Schachbuch / eine Schachzeitung durchaus auch nach dem Verhältnis von erläuterndem Text gegenüber der Partienotation und
-varianten.
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Lange unkommentierte Zugfolgen in den Nebenvarianten dürfen getrost übergangen werden.
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Nicht jedes gute(!) Schachbuch ist für jeden Spieler gleich wertvoll!
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Verbessere dein taktisches Sehvermögen!
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Man kann es auf Deutsch nicht besser sagen, als Heisman auf Englisch: "You can't play what you don't see".
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(Er)kenne die wichtigsten taktischen Motive und Ideen!
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Heisman spricht von sage und schreibe ca. 2000 taktischen Grundmotiven. Und so mehr ich darüber nachdenke, gebe ich ihm Recht…
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Schachtraining muss Spaß machen!
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Mach dir keine Gedanken darüber, ob dein Gegner betrügt!
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Solche Gedanken blockieren nur das eigene Spiel.
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Bei begründetem Verdacht, informiere die Schiedsrichter und überlasse ihnen das weitere Vorgehen.
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Spiele immer mit gleichbleibender Konzentration!
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Ein einziger unkonzentrierter Zug genügt, um die Partie zu verlieren.
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Lass auch in "unwichtigen" Partien die gleiche Konzentration walten, wie in bedeutsamen Turnieren.
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Trainiere und spiele mit Ausdauer – über Jahre!
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Wer den schnellen Erfolg sucht, ist beim Schach am falschen Platz. Aber es ist doch gerade schön, dass man auch nach Jahrzehnten noch etwas dazu
lernt und dies in seinen Partien umsetzen kann.
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Setze dir keine unnötigen Schranken!
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Gemeint sind Abneigungen gegen bestimmte Zeitregelungen, Turnierformen usw.
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Wenn du schon vor dem Spiel glaubst, zu verlieren – dann wirst du auch verlieren!
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Lerne immer zuerst das Allgemeine vor dem Speziellen!
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Heisman führt zwei instruktive Beispiele an:
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Allgemeine Endspielprinzipien ("Der Turm gehört hinter die Freibauern.") haben Vorrang vor konkreten Manövern wie der Lucena-Position.
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Allgemeine Eröffnungsprinzipien (Entwicklung, Königssicherheit) haben Vorrang vor konkreten Eröffnungsvarianten.
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Es gibt kein "Ich kann" oder "Ich kann nicht"!
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In jeder einzelnen schachlichen Fähigkeit ist man mehr oder weniger stark. Das Training hilft immer, sich darin graduell zu verbessern.
Gekürzte und bearbeitete Übersetzung aus Heismans Kolumne beim Chesscafe
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Thomas Binder, 2012