Die beiden hier näher betrachteten Endspiele vom Berliner Qualifikationsturnier 2013 sind in vielfacher Hinsicht bemerkenswert.
Das genannte Turnier verlief für mich insgesamt alles andere als erfolgreich. So kam es, dass ich in den Runden 7 und 9 gegen nach der Papierform
schwächere Spieler unbedingt auf Gewinn spielen wollte.
In beiden Fällen gelang dies schließlich, obwohl die Endspiele lange Zeit "objektiv" (also z. B. nach Computeranalyse) ausgeglichen waren. Dass ich sie
dennoch gewinnen konnte, hat aus meiner Sicht eine Reihe von Ursachen.
Das nebenstehende Diagramm markiert die Stellung, in der gerade ein Turmendspiel entstanden ist. Auf e2 wurden zuletzt die Damen getauscht, was Weiß mit
einem (erneuten) Remisgebot verband. Natürlich ist die Stellung ausgeglichen und an dieser Einschätzung – gestützt auf die Computerbewertung –
wird sich auch für knapp 20 Züge nichts ändern. Ein flüchtiger Blick auf die Stellung könnte sogar den Eindruck erwecken, dass Weiß wegen des schwarzen
Doppelbauern strukturelle Vorteile hätte.
Doch Schwarz hat einen langfristigen Plan, dem Weiß nur Passivität und Verteidigung entgegen setzen kann.
Die erste Phase des Turmendspiels ist also neben der Aktivierung der Könige durch meinen Minoritätsangriff gekennzeichnet. Im Ergebnis dieses Angriffs
wird Weiß eine Bauernschwäche auf c3 oder b2 erhalten, die mir in der Folge als Angriffsziel dienen kann.
Wichtig: Auch danach ist die Stellung von Weiß keineswegs verloren, sondern noch immer ausgeglichen.
Gall – Binder, Berlin 2013 – 1. Teil
Plangemäß wird nun der Doppelbauer aufgelöst. Weiß ist nur eine manövrierfähige Figur geblieben und das genügt nicht, um aktives Gegenspiel aufzuziehen.
Gall – Binder, Berlin 2013 – 2. Teil
In der folgenden Partiephase gelingt es Weiß problemlos, einen Freibauern zu bilden. Erstmals ist greifbarer Vorteil in Sicht.
Gall – Binder, Berlin 2013 – 3. Teil
Unter zunehmendem Druck – sicher auch durch die langwierige Verteidigung zermürbt – genügt ein zunächst unscheinbarer Fehler, um die Partie
zu verlieren.
Gall – Binder, Berlin 2013 – 4. Teil
Zwei Tage später musste ich erneut mit Schwarz in einem schwierigen und langen Turmendspiel nach Siegchancen suchen. Auch hier setzte ich mich schließlich durch, weil dem Gegner unter Druck einige Unachtsamkeiten unterliefen. Analog zur Partie gegen Mike Gall verläuft auch das Spiel gegen Dirk Möller sehr lange objektiv ausgeglichen. So kommt der psychologischen Initiative wachsende Bedeutung zu. Ich will gewinnen, während Weiß mehrfach durch Remisgebote kund tat, dass er nur auf einen halben Punkt hoffte.
Das Wort "Anfangsphase" bezieht sich natürlich nur auf das Turmendspiel. Gerade wurde auf e3 die letzte Leichtfigur getauscht. Hinter beiden Spielern liegt aber ein anstrengendes neunrundiges Turnier und auch diese Partie hat schon mehrere Stunden in den Beinen.
Wie ist die Stellung zu bewerten? Nun – Optisch besitzt Weiß wohl etwas Raumvorteil. Andererseits hat Schwarz eine Bauernmehrheit am Damenflügel,
was oft langfristig bessere Chancen verheißt. Es gibt ganze Eröffnungssysteme, die darauf basieren, sich eine solche Majorität zu schaffen und diese bis
ins Endspiel zu retten. Hier sollte es freilich nicht zum Sieg ausreichen.
In der nächsten Partiephase passiert wenig Aufregendes. Aber mit geschicktem Lavieren erarbeitet sich Schwarz nach und nach einen minimalen Vorteil.
Möller – Binder, Berlin 2013 – 1. Teil
Es ist nun an der Zeit, die Bauernmehrheit am Damenflügel in Bewegung zu setzen. Hier muss Schwarz einen Freibauern bilden. Unterdessen lohnt noch einmal
ein lehrreicher Blick auf die andere Brettseite.
Möller – Binder, Berlin 2013 – 2. Teil
Erst jenseits des 50. Zuges unterläuft meinem sympathischen Gegner ein Fehler, mit dem er den Gewinn der Partie wesentlich erleichtert. Zu retten war
seine Stellung indes wohl nicht mehr.
Möller – Binder, Berlin 2013 – 3. Teil
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