Bryntses exotische Eröffnungsidee

Wir blicken heute auf eine faszinierende Eröffnungsidee, die in der Literatur mit dem Namen des schwedischen Fernschachspielers Arne Bryntse (1916 – 2010) verbunden ist. Sein Spiel basiert auf einem frühen Damenopfer für nur zwei Leichtfiguren. Beim Bryntse-Angriff in Reinkultur erhält Weiß für das geopferte Material sehr starke Initiative.
Praktisches Anschauungsmaterial zu dieser Eröffnung ist sehr rar. Wir werden bald erkennen, warum sie so selten gespielt wird. Meine Darstellung basiert auf einem hervorragenden Artikel des Schweizers Volker Hergert in der Zeitschrift "Kaissiber" von 2010 sowie einigen Quellen im Internet, darunter dem Blog des amerikanischen Meisterspielers Dana Mackenzie und einem Artikel von Tim Harding.

Bryntses Idee kann aus verschiedenen Eröffnungen heraus gespielt werden. Am häufigsten findet man sie noch in einem Abspiel der Sizilianischen Verteidigung. Bryntse selbst spielte seine Opfer-Variante aus einer Art "Holländisch im Anzuge". Mich interessiert besonders der Einsatz dieser Eröffnung gegen die Caro-Kann-Verteidigung und auch gegen die Nimzowitsch-Eröffnung (1.e2-e4 Sb8-c6) habe ich sie bereits versucht.

Warum nun bleibt diese Variante solch ein Exot und findet nicht den Weg auf die Turnierbühne?

Das klingt alles nicht so aufregend, aber dieser Eindruck wird sich sofort ins Gegenteil verkehren, wenn wir die Grundidee am Beispiel der Caro-Kann-Verteidigung gesehen haben.

Bryntse im Caro-Kann

Den Einstieg bildet meine favorisierte Behandlung der Bryntse-Idee. Sie ergibt sich aus der Caro-Kann-Verteidigung. Wir lernen damit zunächst das grundlegende Schema kennen.
Bryntse im Caro-Kann
Zu der entstandenen Stellung beschreibt Volker Hergert – und man kann es nicht besser formulieren – den weißen Angriffsplan:
"Das einfach einzuprägende Angriffsschema lautet wie folgt: Der Damenspringer greift via a3 oder d2 auf c4 ein, der Läufer über e3. Der d-Bauer rückt zunächst ein Feld vor. Wenn er nicht geschlagen wird und Schwarz c5 spielt, folgt d3-d4."
Hergert illustriert seine Ausführungen mit der folgenden Fernschachpartie:
de Vries – Korenwinder, 1989
Dieses schöne Beispiel zeigt die Vielfalt der weißen Angriffsideen – wenn es ihm denn gelingt, das Grundmuster des Bryntse-Angriffs aufzubauen. Schwarz zeigte in dieser Partie eine ordentliche Gegenwehr, war aber dennoch unterlegen. Dabei konnte er sich angesichts einer Fernpartie der Vor-Computer-Ära durchaus intensiv in die Stellung vertiefen. Wieviel schwieriger muss da die Verteidigung gegen diesen Angriff im "richtigen" Turniersaal sein…
Dana Mackenzie geht nicht zu weit, wenn er resümiert: "If Black continues 8. …Kc7? here, I think he is just busted."

Bryntse im Sizilianer

Weit häufiger als gegen Caro-Kann sieht man Bryntses Angriffsidee in der Sizilianischen Verteidigung. Auf den ersten Blick mag es logisch sein, dass sich Schwarz darauf einlässt. Der Zug des c-Bauern bis c5 zu Partiebeginn lässt dem König am Damenflügel scheinbar mehr Fluchtwege offen und schränkt die weißen Angriffsmöglichkeiten ein. Das scheint mir aber zu kurz gedacht…
Wir hangeln uns entlang einer Partie von Dana Mackenzie die sowohl MacKenzie selbst als auch Tim Harding ausführlich analysiert haben.
MacKenzie – Pruess, USA 2006
Das war höchst eindrucksvoll und verdiente wohl auch die ausführlichen Analysen, bei denen ich mich auf zwei berufene Quellen stützen konnte.

Blicken wir noch kurz auf eine weitere flotte Angriffspartie. Erneut wurde übrigens Fernschach gespielt. Der Verteidiger hatte also alle Zeit der Welt, seine Stellung zu analysieren.
Theon – Renaud, 1993

Holländisch im Anzuge – von Bryntse gespielt

Dieser Eröffnung kommt in unserem Zusammenhang ein Ehrenplatz zu, denn gerade hier hat Arne Bryntse den Anstoß erhalten, seine "verrückte" Opferidee auszuarbeiten.

Unter den wenigen auffindbaren Partien finden sich mehrere Versuche des Finnen Kari Heinola. Die folgende Partie wurde in einem hochkarätigen Internet-Turnier gespielt.
Heinola – Johannesen, 2004
Ausdrücklich sei auf die "Partie in der Partie" verwiesen: Welling – Kruithof, Niederlande 1980.

Zum Schluss sei der Meister selbst präsentiert. Wie gesagt, spielte Bryntse sein Gambit vorwiegend aus dieser Eröffnung heraus. Unter seinen beiden berühmten Partien gegen Osterling habe ich die frühere (und kürzere) ausgewählt.
Bryntse – Osterling, 1968

Fazit

Wir haben eine faszinierende Eröffnungsidee kennengelernt – ein weiteres schönes Beispiel für die Unerschöpflichkeit des Schachspiels. Wer Spaß am kreativen Angriffsspiel hat, sollte dieses Opfer durchaus einmal ausprobieren. Aber – man kann es nicht erzwingen, muss also auch darauf gefasst sein, dass Schwarz schon zuvor von der gewünschten Variante abweicht.




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Thomas Binder, 2013