Bild Jugend-Herbst-Open 2021

Vor allen Ergebnissen steht die Freude, dass wir wieder "so richtig" Schach spielen dürfen. Nach langer Pandemie-Pause kann die Berliner Schachjugend wieder ein Open für engagierte Spieler unterhalb des Meisterschafts-Niveaus bieten – und es wurde dankbar angenommen. Die kleinen Erschwernisse wie Maskenpflicht und 3G-Kontrolle nimmt man gern in Kauf, wenn man endlich wieder am Brett den Gegnern aus anderen Vereinen und Schulen gegenüber sitzen darf. Das T-Shirt eines Teilnehmers bezog sich zwar wohl auf ein anderes Spiel, aber wir sind wieder im "Reality Game" angekommen. Freilich bleibt die beklemmende Angst, wie lange diese Andeutung von Normalität erhalten bleiben kann.

Unsere Schule wurde in allen drei Altersklassen würdig vertreten. Besonders gespannt waren wir dabei auf den Einstieg der u12-Spieler, haben sie doch ein ganz wichtiges Jahr unserer bewährten Wettkampfplanung unwiederbringlich verloren.
Ärgerlich waren allenfalls einige Wirrnisse bei der Turnierlogistik. Vor allem zur Rückreise am ersten Tag gab es ein paar Verständigungsprobleme, doch schließlich fanden alle wohlbehalten den Heimweg. Die erste Schrecksekunde war am Morgen bereits die Verspätung eines Spielers, die aber mit toller Unterstützung seines Klassenkameraden Alexander noch gut gemanaged wurde.

Traditionen, die eine lange Pause überdauert haben

Die Geschichte der Jahreszeiten-Opens hat ein paar liebgewordene Konstanten. Zum einen sind unsere Teilnehmer immer recht erfolgreich, zum anderen sind wir berühmt dafür, fast immer die längsten Partien einer Runde zu liefern. Beide Traditionen wurden auch von einer völlig neuen Herderschach-Generation aufgenommen. Traditionspflege und Zusammenhalt werden bei uns groß geschrieben. So ließ es sich Joachim – Mitglied des 2019er-Meisterteams – nicht nehmen, einen Blick auf die spannende u12-Finalpartie zu werfen. Hat er seinen Nachfolger gesehen?
Übrigens hat die Berliner Schachjugend das Niveau der Opens enorm angehoben: DWZ-Obergrenze bei 1200 und lange Turnierbedenkzeit unterscheiden die 2021er-Ausgabe von früheren Jahrgängen. Die Erfolge sind also noch ein wenig höher einzuschätzen.

Strahlender Sieger in der u12

Bild Bild Natürlich hatten wir bei den Jüngsten einige Hoffnungen auf vordere Plätze, doch schon die erste Runde zeigte, dass die Trauben hoch hängen würden. Am ersten Tag überzeugte eigentlich nur Viktor in allen Partien. Jetzt galt es, diese Ausgangsposition über die Nacht zu retten und am nächsten Tag die Früchte zu ernten.
In Runde 4 spielte Viktor ein mutiges Gambit, holte sich mit Einschlag auf f7 den Bauern zurück, nur um wenig später verbotswidrig den vergifteten Bauern auf b7 zu schlagen. Merke dir: Das ist selbst dann falsch, wenn es richtig ist. Diesmal war es auf keinen Fall richtig, der Figurenverlust per Ta8-b8xb2 (Läufer) folgte prompt. Doch Viktor erholte sich auch von diesem Rückschlag und bewies, dass er einfach der etwas bessere Schachspieler war.

Nun folgte – wie so oft in der Historie der Opens – ein echtes Finale um den Turniersieg. Was hat man als Trainer in genau dieser Situation in all den Jahren schon erlebt… Das 2021er-Finale schloss sich hier nahtlos an.
Viktors Gegner kam mit zwei Mehrbauern ins Endspiel. Dieses entschieden dann aber nicht die zahlreicheren Bauern, sondern der weiter voraus geeilte Freibauer (s. Bild rechts) Danach folgte dann nur noch der verdiente Jubel über den Gesamtsieg in Viktors erstem großen Turnier.
Warum hat er gewonnen? Viktor hat natürlich gutes Schach gespielt – auch wenn nicht alles ganz richtig war. Er bringt außerdem schon ein gutes Maß an Ruhe und Geduld mit, hat darin seinen Altersgenossen einiges voraus. So ist er auf jeden Fall ein verdienter Sieger, zumal er die drei nächstfolgenden Platzierten im direkten Vergleich besiegen konnte.

Hervorragende Plätze für Andi, Juri und Vincent

Bild Bild Schauen wir kurz in den oberen Altersklassen vorbei: In einem gemeinsamen Turnier der Klassen u16 und u18 sorgte Andi (Bild links) für unseren zweiten Pokal. Er wurde Dritter und holte Silber in der u16-Wertung. Verdienter Lohn ist ein DWZ-Zuwachs um mehr als 200 Punkte. In die Kategorie "schachlicher Leckerbissen" gehört seine Auftaktpartie. Andi hatte eine Mehrqualität für zwei Bauern, deren einer schon bis zur vorletzten Reihe gelaufen war. Doch am anderen Flügel konnte unser Spieler einen Bauerndurchbruch mit dem Rückopfer der Qualität kombinieren und einen sehenswerten Sieg verbuchen. Leider fehlte nach dieser langen Partie die Kraft im Duell gegen den späteren Turniersieger.
Weniger glücklich agierte Fabian mit einer 50%-Bilanz, wobei ihm ein ausbleibender Gegner zwar den kampflosen Punkt schenkte, aber eben die Freude einer kreativen Schachpartie nahm.

"Warum ist Juri in letzter Zeit so gut geworden?" Diesen Satz hörte ich unlängst in der Schach-AG, und nach dem Herbst-Open kenne ich zumindest einen Teil der Antwort. Er beendet sein erstes großes Turnier auf Platz 6 mit 3½ Punkten. Dabei hatte er vier DWZ-Gegner, erspielte hier eine Performance deutlich über 1100. Da ist der nächste Schritt zum Vereinsschach klar vorgezeichnet. Und die Antwort auf die eingangs gestellte Frage? Juri strahlt eine für sein Alter beeindruckende Reife und Souveränität aus. Er hat natürlich rein schachlich enorm zugelegt, aber noch wichtiger sind wohl die "Soft-Skills", die man zu einem erfolgreichen Turnier braucht.
Nur einen Rang hinter Juri platziert sich im u14-Open Vincent. Er bringt schon einiges mehr an Erfahrung mit, gerät aber immer wieder in Zeitnot, was dann manchmal die verdienten Ergebnisse eintrübt. Immerhin konnte sich Vincent mit drei Siegen in der Spitzengruppe behaupten.
Jan D. als dritter u14-Spieler geriet am ersten Turniertag in die Abwärtsspirale, die einsetzt, wenn einfach nichts gelingen will. Viel besser verlief dann der zweite Tag mit 1½ Punkten. Da er mittlerweile zu den Älteren gehört, konnte mir Jan viele nützliche kleine Dienste leisten, die Truppe zusammenzuhalten, Wasserstandsmeldungen laufender Partien mitzuteilen und überhaupt immer offene Ohren und Augen für das Gesamtkunstwerk Schach-Open zu haben.

Das Foto unserer beiden u14-Spitzenspieler dokumentiert übrigens auch, dass das Maskengebot letztlich in die Entscheidung jedes Einzelnen gestellt war. Es gab keine Pflicht, und dennoch setzten sehr viele Teilnehmer auf die Schutzfunktion. Ein Schritt in Richtung Selbstverantwortung, der uns allen gut bekommen ist…

Große Begeisterung bei allen u12-Zwergen

Selten habe ich die Herderschach-Delegation bei unterschiedlichsten Turnierergebnissen so geschlossen begeistert erlebt – sicher auch eine Folge der langen Corona-Pause.
Mit großen Hoffnungen war vor allem Jakob gestartet. Doch das Stoppsignal kam schon in der ersten Partie, als er gegen Teamkamerad Ziyi nach langem Kampf unterlag. Über die kurze Distanz (5 Runden bei fast 50 Teilnehmern) waren damit einige Träume schon ausgeträumt, bevor das Turnier so richtig begonnen hatte. Auch das ist eine unserer Traditionen: Interne Duelle haben ihre eigene Würze und nehmen oft einen unerwarteten Ausgang. In der Folge konnte Jakob sein kreatives Schach und sein überschäumendes Temperament in vier Siege ummünzen. Doch eine Gesetzmäßigkeit des Schweizer Systems schlug brutal zu: Eine Auftaktniederlage kostet empfindlich viele Buchholz-Punkte, und so wurde es am Ende Platz 8 – punktgleich mit dem Zweiten.
Nur knapp dahinter platzieren sich Ziyi und Alexander in der oberen Tabellenhälfte. Diese Plätze sind auf jeden Fall durch schachliches Können verdient und bestätigen den Eindruck aus der Herderschach-AG. Für den Angriff auf die Spitzenplätze fehlte es diesmal noch an Konstanz, gab es den einen oder anderen unnötigen Fehler zu viel.
Auch bei Platon, Peter, Jan S. und Lio wechselten noch gute Partien mit ärgerlich leicht vergebenen Punkten. Der beobachtende Trainer hat aber bei allen gute Ideen und spannende Ansätze gesehen und konnte hier und da schon am Wochenende den richtigen Weg aufzeigen. Im nächsten Turnier werden sie wieder angreifen, in der Tabelle weit aufrücken und bald für die nächsten Erfolge der langen Herderschach-Geschichte sorgen.

Der Blick aufs Brett

Bild Bild Hier (Bild links) entscheidet sich der Kampf um Platz 1 und 2 im u12-Open zwischen Viktor und Vitus vom SV Empor. Weiß ließ seinen Freibauern sofort von der Leine, aber nach 1.c2-c4?? Kh4-h3 gewinnt Schwarz den Bauernwettlauf. Mit dem Bauernzug vergab Vitus einen halben Punkt, der ihm schließlich ganz knapp zum Turniersieg gereicht hätte.
Die korrekte Lösung wäre 1.Kf3-g2 gewesen. Nach 1.… Kh4-g4 – 2.c2-c4 Kg4xf4 – 3.c4-c5 sieht 3… Kf4-g4 – 4.c5-c6 f5-f4 – 5.c6-c7 f4-f3+ – 6.Kg2-g1 f3-f2+ – 7.Kg1-g2 zwar eindrucksvoll aus, aber Schwarz kommt nicht weiter, während Weiß im nächsten Zug umwandelt.
Die Rettung für Schwarz ist 3… Kf4-e5 – 4.Kg2xg3, was zu der rechts abgebildeten Stellung führt. An dieser könnte man nun die ganze Lehre von den Bauernendspielen erörtern. Wir beschränken uns darauf, dass der "offensichtliche" Zug 4… Ke5-d5 jetzt ein grober Fehler wäre. Weiß könnte dann mit 5.b2-b4 seinen Freibauern decken und schließlich gewinnen. Schwarz müsste den einzigen Remiszug 4… a6-a5 finden und auch nach 5.a2-a3 dann 5… a5-a4 spielen. Das soll als Andeutung im Moment genügen. In der Folge spielen dann noch Faktoren wie das Spiel gegen einen Randbauern eine Rolle.


Bericht und Fotos: Thomas Binder