Trainingsmaterial Nr. 24

Inhaltsverzeichnis

Ein interessantes Endspiel
Rekorde im Schach – Folge 6
Hausaufgabe
Einführung in die Schachstrategie – Folge 5
Was sind eigentlich …
Schachlinks – Folge 10
Opferklassen – Folge 1




 Ein interessantes Endspiel

Wieder einmal sorgt die Jugendabteilung meines Vereins für ein – trotz aller Fehler - interessantes und lehrreiches Endspiel. Besonders abseits der tatsächlich gespielten Züge ist hier so manche überraschende Entdeckung zu machen.
Sehen wir uns zunächst den Schluss dieser Meisterschaftspartie an:
Weinrich – Agne, Berlin 2004
So also wurde die Partie tatsächlich gespielt. Doch nun wollen wir einige Phasen dieses Endspiels analysieren.

  1. Übergang in das Endspiel mit ungleichen Läufern
    Alle Trümpfe liegen bei Schwarz: Er hat einen Mehrbauern, dabei 2 verbundene (!) entfernte (!) Freibauern und besitzt das Läuferpaar. Das einzige, was er jetzt tun kann um sich den Gewinn zu erschweren, ist der Übergang in ein Endspiel mit ungleichen Läufern – und genau diesen Übergang lässt er zu…
    Übergang ins Läuferendspiel
    Endspiele dieser Art haben eine erhebliche Tendenz, remis auszugehen.
  2. Übereilter Bauernschritt
    In der Folge unterläuft dem Nachziehenden gleich eine weitere Ungenauigkeit. Gerade Bauernzüge müssen im Endspiel wohl überlegt sein, denn man kann sie ja nicht rückgängig machen.
    Ein vorschneller Bauernzug
    Mit dem Bauern auf c3 wird der Gewinn sehr viel schwieriger. Auf c4 hätte er noch für einige Zeit gute Dienste leisten können.
  3. Letzte Siegchance aus eigener Kraft
    Hier ist der Erfolg für Schwarz schon nicht mehr trivial. Aber es gab noch eine effektvolle Gewinnchance.
    Ein studienhafter Gewinn war möglich
    Nachdem auch diese – zugegeben nicht so einfache – Chance vertan war, sollte die Partie eigentlich Remis enden.
  4. Abwicklung zum Figurengewinn und --- Remisendspiel
    Die nächsten Züge haben den Charakter der Stellung kaum verändert. Sicher hat überhaupt nur Schwarz eine Gewinnchance. Doch bei richtigem Spiel sollte sich Weiß angesichts der ungleichen Läufer erfolgreich verteidigen können. Schließlich gewinnt der Nachziehende planmäßig eine Figur (unter Hergabe des Mehrbauern) – aber gerade danach ist die Partie Remis.
    Ungewollte Abwicklung zum Remis
    Das Endspiel mit Randbauer und "falschem" Läufer ist Remis, wenn der Verteidiger in die Verwandlungsecke kommt. Das konnte Weiß hier problemlos erreichen.
    Die Stellung im 63. Zug birgt noch einige Überraschungen. Wir kommen darauf zurück, sehen aber zunächst, wie es in der Partie weiterging.
  5. Der große Bluff
    Schwarz bot nun ein optisch erschlagendes Läuferopfer. Doch auch danach konnte Weiß eigentlich problemlos Remis halten. Sehen wir also, was geschah – und was hätte geschehen müssen…
    Der große Bluff
    Weiß konnte also von einem Remisendspiel (Randbauer und falscher Läufer) zu einem anderen (Randbauer und eingesperrter König) umwandeln. Doch auch diese Chance ließ er verstreichen.
  6. Die Siegchance im Remisendspiel
    Doch auch die Feinheiten der Stellung im 63. Zug sind noch nicht ausgereizt. Hier konnte Schwarz gewinnen, indem er dem weißen König den Weg nach h1 versperrt.
    Die Chance im 63. Zug
    Im perfekten Zusammenspiel schaffen es König und Läufer, dem Gegner den Weg in die rettende Ecke zu versperren. Schwarz nutzt immer wieder Abwartezüge des Läufers, um den weißen König auf ungünstigere Felder zu treiben.

    Die vorstehende Analyse mag noch nicht völlig überzeugen, an vielen Stellen hatte Weiß andere Züge, auf die wir nicht eingegangen sind. Immerhin war die Analyse Fritz-gestützt, doch auch das beste Programm kann in langzügigen Endspielen den Überblick verlieren.
    Aber für solche Stellungen mit ganz wenigen Figuren gibt es ein anderes Werkzeug: die Tablebases. Mit ihrer Hilfe kann man die absolute Wahrheit über die Stellung nach 63. … Ld6 erfahren – siehe dazu die Erklärung weiter unten.
    Das Ergebnis: Ja – mit 63. … Ld6 (und nur so) gewinnt Schwarz. Die folgende Variante wurde mit Hilfe der Tablebases erstellt und zeigt also für beide Seiten jeweils den besten Zug.
    Tablebase-Analyse
    Nun haben wir absolute Gewissheit und können uns zudem darüber freuen, dass diese optimale Variante gar nicht so weit von unserer Analyse abweicht.

Es war schon ein kurioses Endspiel: 3x hatte Weiß mehr oder weniger sichere Remisstellungen:

Doch schließlich fährt Schwarz glücklich einen vollen Punkt ein:
Der vorletzte Fehler gewinnt.




 Rekorde im Schach

Kein Rekord ist für die Ewigkeit. Deshalb hier ein UPDATE zu einigen der merkwürdigen Rekorde, die wir in den Trainingseinheiten 14-19 gesehen haben.

Der Rekord für die späteste lange Rochade wurde vom Amerikaner Black in die Höhe geschraubt. Er rochierte in seiner Partie gegen Somogyi im 48. Zug, womit der Rekord für die späteste Ausführung der Rochade bei kurzer und langer Rochade auf dem gleichen Wert steht. Die zugehörige Partie liegt leider nicht vor.

Eine Partie aus der tschechischen Meisterschaft der U16-Mädchen endete mit 2 Rekorden: längste Schachserie und längste Zugfolge der Dame. Die Partie präsentiert zunächst eine putzige Orgie beiderseitiger Fehler, ehe sich Weiß in klarer Gewinnstellung an einem Turm vergreift und dann sehr langfristig vom Dauerschach der Dame überzeugt werden muss.
Rebickova – Voracova, Tschechien 1995

Um einen Zug verbessert wurde der Rekord für das schnellste Bauernendspiel. In einer Partie um die Meisterschaft von Asturien hatten die Spieler bereits nach 17 Zügen alle übrigen Figuren getauscht. Wenig später einigte man sich auf Remis.
Rodriguez – Antonio, Spanien 1999

In der Kategorie der längsten Schlagserie wurde der Unterrekord "längste Schlagserie auf dem selben Feld" verbessert. In einer Partie aus Österreich schlugen die Spieler 12x in Folge auf dem Feld g4.
Weiss – Burschowsky, Österreich 1995

Hierher passt noch die Rekordpartie mit der größten Folge wechselseitiger Schachgebote. Bei einer Turnierpartie in Frankreich gaben sich die Spieler 6x in Folge Schach. Dies ist der Rekord für praktische Partien. In konstruierten Stellungen sind natürlich wesentlich höhere Werte erreicht worden.
Zarrouati – Brauckmann, Toulouse 1990




 Hausaufgabe

Wir lösen jetzt die Aufgabe aus Training Nr. 22 auf.
Die beiden ersten Teilaufgaben waren praktisch bereits durch unsere Beispiele zum Thema "Festungsbau" vorweg genommen.
In der 3. Aufgabe hält Schwarz mit dem Zug 1. … Sd7 remis. Andere Züge verlieren die Partie.
Davon kann man sich entweder mit einem guten Schachprogramm oder unter Nutzung der Online-Tablebases (siehe unten) überzeugen.


Und hier nun die neue Aufgabe:
Es sei verraten, dass sie sich dem Thema "Hinlenkungsopfer" widmet – siehe unten. Überraschenderweise kann man dieses Motiv auch im Endspiel finden.
Weiß am Zuge gewinnt. Studie von Otten, 1892




 Einführung in die Schachstrategie
Heute: Türme auf offenen Linien

In der vorigen Trainingseinheit haben wir viel Grundsatzwissen über offene Linien erlernt. Heute nun sehen wir, wie die Meister die Beherrschung offener Linien gewinnbringend einsetzen.

Zuerst sehen wir 2 Partien des oftmaligen DDR-Meisters Wolfgang Uhlmann. Er hat zu unserem heutigen Thema ein eigenes Lehrbuch verfasst. In der ersten Partie gewinnt Uhlmann gegen den Isländer Olafsson, einen früheren Präsidenten des internationalen Schachverbandes FIDE.
Uhlmann – Olafsson, Länderkampf 1977
Im gleichen Jahr besiegte er bei einem internationalen Turnier (Sieger: Exweltmeister Tal) den starken Tschechen Pribyl.
Uhlmann – Pribyl, Tallinn 1977

Nun eine Gewinnpartie des ukrainischen Großmeisters Oleg Romanischin, der 1975 Vizemeister der Sowjetunion wurde. Dies war einer seiner größten Erfolge. Im Laufe des Turniers bezwang er u.a. den mehrfachen WM-Kandidaten Lew Polugajewski (1934 – 1995).
Romanischin – Polugajewski, Jerewan 1975

In der folgenden Partie sehen wir die Umsetzung des Vorteils im Endspiel. Sieger ist hier der polnische Großmeister Akiba Rubinstein (1882 – 1961). Zu Beginn seiner erfolgreichen Karriere gewann er das internationale Turnier von Karlsbad 1907. Dabei besiegte er u.a. auch seinen Landsmann Georg Salwe (1860 – 1920).
Salwe – Rubinstein, Karlsbad 1907

Zum Schluss sehen wir 2 hochrangige Partien, in denen die Schwerfiguren über die offenen Linien in das gegnerische Lager eindringen. Besondere Bedeutung kommt dabei der 7. Reihe zu.
Die erste Partie stammt aus dem Turnier um die Weltmeisterschaft 1948.
Botwinnik – Euwe, WM 1948
Von ebenso hohem Niveau war das Turnier in New York 1927. Sehen wir auch daraus eine Partie:
Nimzowitsch – Capablanca, New York 1927




 Was sind eigentlich …
Tablebases und FEN-Notation?

Die Tablebases sind mächtige Datenbanken, in denen alle Stellungen mit sehr wenigen Figuren (zur Zeit ist man bei den "Sieben-Steinern" angekommen) erfasst sind. Zu jeder dieser Stellungen ist bekannt:

Die Tablebases ersetzen also im Computerschach das Rechnen durch das Wissen. Dass dies manchmal kuriose Folgen haben kann, haben wir bereits im 8. Training gesehen.
Im Internet gibt es Möglichkeiten, diese Datenbanken direkt zu nutzen und damit einzelne Endspielstellungen zu untersuchen – siehe untenstehenden Link.
Zur Eingabe einer Stellung muss man evtl. noch die "Sprache" FEN beherrschen.


FEN (= Forsyth-Edwards-Notation) ist eine einfache Sprache, mit der man eine Stellung mit wenigen Zeichen erschöpfend beschreibt. Alle gängigen Schachprogramme, aber auch Online-Angebote wie die Tablebase-Seite, verstehen diese Notation.
Man beginnt in der obersten Zeile des Schachbretts (also der 8. Reihe) und arbeitet sich nach unten vor. Die einzelnen Reihen werden durch Schrägstriche getrennt. Die Figuren werden durch ihre (englischen) Kenn-Buchstaben markiert, wobei die weißen Figuren groß geschrieben werden. Leere Felder werden einfach durch die Nennung ihrer Anzahl beschrieben.
Die Ausgangsstellung der Schachpartie heißt folglich:

rnbqkbnr/pppppppp/8/8/8/8/PPPPPPPP/RNBQKBNR

Nach dem Zug 1. e2-e4 ergibt sich:

rnbqkbnr/pppppppp/8/8/4P3/8/PPPP1PPP/RNBQKBNR

Auf der 4. Reihe steht jetzt nach 4 Leerfeldern ein weißer Bauer, gefolgt von 3 Leerfeldern. Auf der 2. Reihe ist an Stelle des 5. Bauern ein leeres Feld getreten.
Nun muss man noch angeben, wer am Zuge ist. Dies geschieht einfach durch die Buchstaben "w" für Weiß und "b" (black) für Schwarz. Die Anfangsstellung heißt also jetzt:

rnbqkbnr/pppppppp/8/8/8/8/PPPPPPPP/RNBQKBNR w

Das ist aber noch nicht alles, was man über eine Stellung wissen muss. Man muss noch wissen, ob jetzt oder später noch rochiert werden darf. Sind alle 4 denkbaren Rochaden bereits geschehen oder dauerhaft unmöglich (z. B. nach einem Königszug) erscheint ein Minuszeichen, ansonsten werden die noch möglichen Rochaden aufgezählt: "Q" bzw. "q" für die langen Rochaden von Weiß und Schwarz, "K" und "k" für die kurzen Rochaden. In der Stellung nach 1. e2-e4 sind natürlich noch alle Rochaden denkbar: Deshalb sieht sie jetzt so aus:

rnbqkbnr/pppppppp/8/8/4P3/8/PPPP1PPP/RNBQKBNR b QKqk

Falls in der Stellung ein en-Passant-Schlag möglich ist, muss dies ebenfalls mitgeteilt werden. Das ist nur dann der Fall, wenn gerade ein Bauern-Doppelschritt geschah und ein gegnerischer Bauer auf dem Feld daneben steht. Es genügt dann, die Linie zu benennen, auf der gerade der Bauer gezogen wurde. Wenn kein en-Passant-Schlag möglich ist, setzt man auch hier ein Minuszeichen.
Sehen wir die folgende relativ sinnlose Zugfolge: 1. e2-e4 c7-c5 2. e4-e5 d7-d5. Jetzt könnte Weiß auf d6 en-passant schlagen. Und so sieht dies in der FEN-Notation aus:

rnbqkbnr/pp2pppp/8/2ppP3/8/8/PPPP1PPP/RNBQKBNR w QKqk d

Wir wissen schon sehr viel über die Stellung – aber noch nicht alles. Zumindest über die 50-Züge-Regel muss noch Klarheit bestehen, denn die Partie kann ja kurz vor dem Remis stehen, wenn seit langer Zeit kein Bauer gezogen oder nichts geschlagen wurde. Die Zahl der "Halbzüge", die seit dem letzten Bauernzug oder Schlagfall geschehen sind, gehört also auch noch in die FEN-Zeichenfolge. Nach 1. e2-e4 e7-e5 2. Sg1-f3 Sb8-c6 3. Lf1-c4 Sg8-f6 4.Sf3-g5 sind das immerhin 5 Halbzüge. Die zugehörige FEN dieser Stellung lautet folglich:

r1bqkb1r/pppp1ppp/2n2n2/4p1N1/2B1P3/8/PPPP1PPP/RNBQK2R b KQkq – 5 4

Die letzte Ziffer dieser Kette ist ziemlich bedeutungslos. Sie zeigt an, in welchem Zuge wir überhaupt sind – im vierten.
Zur Übung nun noch die ominöse Stellung aus dem anfangs betrachteten Endspiel nach 63. … Ld6 in FEN-Schreibweise:

8/8/3bK2p/2k4P/8/8/8/8 w – 7 63




 Schachlinks

Und wieder ist es Zeit, auf einige interessante Seiten im Internet zu verweisen.
Zum Öffnen der Seiten bitte immer den Text im linken Tabellenfeld anklicken.

URL Erklärung

Chessgames

Eine Datenbank mit Meisterpartien zum Nachspielen, dazu Biographien der Spieler. Besonders interessant sind die von den Nutzern erstellten "Games collections" unter diesem Link. Besonders nett anzuschauen sind die optisch reizvollen Stellungen unter diesem Link.

Tablebases

Über den Sinn der Tablebases ist schon einiges gesagt worden. Hier kann man nun Stellungen mit sehr wenigen Figuren anhand der Tablebases online untersuchen.




 Klassifizierung von Opfermotiven

Opfer sind die Würze des Schachspiels. Sie sind uns schon an vielen Stellen in diesen Materialien begegnet. Nun wollen wir auch diese Opfer etwas klassifizieren. Das hilft uns, sie im praktischen Spiel besser zu erkennen und keine Chance ungenutzt verstreichen zu lassen.
In der ersten Lektion begegnen wir dem

Hinlenkungsopfer

Der Name sagt alles: Eine Figur wird auf ein bestimmtes Feld gelenkt, wo sie dann in der Folge erobert oder ein anderer wichtiger Vorteil erlangt werden kann.
Sehen wir ein erstes instruktives Beispiel aus dem Duell zweier Weltmeister:
Lasker – Euwe, Nottingham 1936

Um höhere Beträge als einen einfachen Figurengewinn geht es in der folgenden Partie aus der jugoslawischen Meisterschaft des Jahres 1957.
Karaklajic – Nedeljkovic, Jugoslawien 1957

Im letzten Beispiel ist es erneut der spätere Weltmeister Max Euwe (1901 – 1981), der durch ein Hinlenkungsopfer bezwungen wird. Sein Gegner ist der jugoslawische Großmeister Milan Vidmar (1885 – 1962), der auch als Buchautor bekannt wurde. Besonders seine Autobiographie "Goldene Schachzeiten" ist lesenswert.
Vidmar – Euwe, Karlsbad 1929
Diesen speziellen Fall, wo der König auf das Mattfeld gelenkt – also in das Mattnetz hineingezogen – wird, bezeichnet man auch als "Hineinziehungsopfer".




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Thomas Binder, 2004