Trainingsmaterial Nr. 51

Inhaltsverzeichnis

Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 18
Das Mousetrapper-Motiv
Der relative Wert der Figuren
Königswanderungen
Endspiel intensiv – Folge 14
Ein Endspiel mit ungleichen Läufern
Final Fun




Glanzstücke der Schachgeschichte

Die folgende Partie ist wenig bekannt und fehlt auch in den großen kommerziellen Datenbanken. Auch über die beteiligten Spieler und den Anlass weiß man sehr wenig. Der Gewinnweg von Weiß löst aber immer wieder Begeisterung aus und einige Kommentatoren halten diese Partie für eine der besten der Schachgeschichte überhaupt. Diesem Urteil wird man sich vielleicht nicht ganz anschließen könnten, da Schwarz die Gewinnkombination doch erst durch allzu sorgloses Spiel möglich machte. Dennoch sollte man die überraschende Gewinnführung mit vielen interessanten Elementen unbedingt genießen.
Korchmar – Polyak, Kiew 1937
In Anlehnung an einige andere berühmte Schachpartien spricht man gelegentlich auch von der "Ukrainischen Unsterblichen".

In einer Würdigung des argentinischen Großmeisters Hector Rossetto (1922 – 2009) fand ich u.a. die folgende hübsche Schlusswendung.
Rossetto – Rossolimo, Argentinien 1950

OK – die Überschrift "Glanzstücke der Schachgeschichte" ist vielleicht etwas geprahlt, aber das Live-Erlebnis macht die Erinnerung an diese Partie eben besonders schön. Wir spielten mit dem Team der Schachfreunde Siemensstadt gegen den hoch überlegenen Spitzenreiter unserer Liga. Leider konnten wir nur mit 6 Spielern antreten, lagen also bereits kampflos 0:2 zurück. Als dann an Brett 7 scheinbar eine Figur verloren ging, frohlockten die Gegner über einen leichten Sieg. Doch da hatten sie die Rechnung ohne unser 14jähriges Talent Robin Toebs gemacht…
Toebs – Herrmann, Berlin 2010
Nach diesem Sieg ging es wie ein Ruck durch unsere Mannschaft, die Gegner wurden hingegen immer unsicherer. Am Ende stand ein 4:4-Unentschieden, der einzige Punktverlust für die gegnerische Mannschaft in der ganzen Saison.




Das Mousetrapper-Motiv

Der renommierte Berliner Schachtrainer Wilhelm Schlemermeyer hat auf seinen Streifzügen durch das Internet ein bislang völlig unbeachtetes Kombinationsmotiv entdeckt, von dem im Blog eines Schweizer Schachfreundes berichtet wird, der sich Mousetrapper (Fallensteller) nennt. Wilhelm nannte es daher "Mousetrapper-Motiv" und führt es seither in begeisternder Weise in seinen Trainingsstunden vor.
Sehen wir zunächst das Original. Der Blogger "mousetrapper" verlor mit dieser hübschen Kombination gegen das Computer-Programm Deep Shredder.
Das "Original" der Mousetrapper-Kombi

Wenige Tage nachdem Wilhelm Schlemermeyer diesen Partieschluss im Training seines SC Kreuzberg präsentiert hatte, ergab sich für seinen Teamkameraden FIDE-Meister Atila Figura die Gelegenheit, das Motiv tatsächlich in einer Turnierpartie anzuwenden.
Dabei ist bemerkenswert, wie Figura die passende Konstellation erkennt und dann über viele Züge mit subtilen Manövern darauf hinarbeitet. Sein Gegner macht keine offensichtlichen Fehler, aber weiß eben nicht, was Atila im Schilde führt. Mehrfach hätte er den Angriff abwehren können, aber ohne Kenntnis des Mousetrapper-Motivs war er nicht in der Lage, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen.
Hein – Figura, Berlin 2009
Dass ein Spieler so unmittelbar von einer Trainingslektion profitiert, ist sicher eine Seltenheit. Atila, Wilhelm und ihre Teamkameraden werden ein zufriedenes Schmunzeln nicht unterdrückt haben.

Merkwürdigerweise finden sich zu unserem Motiv nur wenige praktische Beispiele in der Schachgeschichte. Dabei kann man nur spekulieren, wie oft ein Spieler die dazu gebotene Gelegenheit verpasst hat. Wilhelm Schlemermeyer fand in den großen Datenbanken nur eine einzige im Ansatz vergleichbare Kombination aus der Großmeisterpraxis. Sie wurde bei der Europameisterschaft 1997 zwischen den Mannschaften aus Polen und Kroatien gespielt.
Krasenkow – Cvitan, Kroatien 1997




Der relative Wert der Figuren

Es ist wohl das Erste, was ein Schach-Anfänger erlernt: Die Figuren haben unterschiedlichen Wert und man muss beim Abtausch immer darauf achten, dass man materiell nicht in Rückstand gerät. Einfaches "Punktezählen" ist dabei aber sicher nur die halbe Wahrheit.
Werfen wir also einen Blick auf verschiedene Skalen zur Bewertung des Materialbestandes:
Die Informationen dazu sind in einem eigenen Dokument dargestellt:
Der relative Wert der Figuren




Königswanderungen

Wir wissen natürlich, dass der König in Eröffnung und Mittelspiel hinter eine sichere Bauernkette gehört und gewöhnlich nicht selbst aktiv am Spiel teilnimmt. Zu Recht ist der Wanderkönig im Schach verpönt und wird meist nach mehr oder weniger langem Ausflug über das Schachbrett mattgesetzt. Oft genug ist es dem Angreifer auch einige Opfer wert, einen König aus dem sicheren Versteck ins Freie zu zerren.
Heute soll es um andere Wanderungen gehen. Sehr selten begibt sich ein König schon lange vor dem Endspiel ins Kampfgetümmel und leistet seinen aktiven Beitrag zum Sieg. Verschiedene Autoren – darunter erneut der Holländer Tim Krabbé – haben solche Partien gesammelt. Wir wollen aber die Messlatte bewusst hoch legen. Die Grenzen sind fließend zu jenen Partien, in denen der Gegner eine Königswanderung erzwang, dann aber nach vielen Opfern doch das Matt nicht schafft.

Das Maß der Dinge ist wohl die folgende Gewinnführung des englischen Großmeisters Nigel Short. Es ist schon allein bemerkenswert, dass unser Motiv aufs Brett kommt, wenn sich zwei Spitzenspieler der Gegenwart gegenüber sitzen.
Short – Timman, Niederlande 1991

Ähnlich sicher ist die weiße Spielweise in der folgenden Partie zweier sowjetischer Meister. Doch schon hier beginnt die Königswanderung nicht ganz freiwillig.
Gawrikow – Muratow, Sowjetunion 1977

Im folgenden Beispiel bleibt die Pointe der Königswanderung in einer Nebenvariante versteckt.
Nunn – Anthony, England 1981

Die folgende Partie des damaligen Weltmeisters Karpow gegen den schwedischen Großmeister Ulf Andersson wurde in einem Wettkampf "Sowjetunion – Rest der Welt" gespielt. Karpow ist nicht gerade für spektakuläre Kombinationen bekannt. Seine Stärke sind feinsinnige und langfristige Manöver. In diesem Sinne ist die Partie besonders reizvoll. Zur Vorbereitung eines Angriffs überführt der Champion seinen König aus der sicheren Rochadestellung bis zur a-Linie und dann wieder zurück.
Im Kommentar ergänze ich einige Anmerkungen aus der damaligen Ausgabe der Zeitschrift SCHACH.
Karpow – Andersson, London 1984
Ich wüsste gern, ob sich Karpow schon bei Beginn des Manövers über die Länge seiner Königswanderung im Klaren war.

Unter Karpows Vorgängern als Weltmeister ist vor allem Tigran Petrosjan für interessante Partien mit Königswanderungen bekannt. Es gibt eine ganze Reihe solcher Ausflüge in seinem Schaffen. Ich habe mich hier für eine eindrucksvolle Gewinnführung gegen den philippinischen Meister Cardoso entschieden.
Cardoso – Petrosjan, Spanien 1975

Zuweilen werden solche Könige übrigens als Steel-King bezeichnet. Die Bezeichnung rührt nicht von den eisernen Nerven her, die man als Spieler dazu braucht, sondern von einem englischen Schachspieler dieses Namens. Von ihm ist nur eine Partie bekannt, die er 1886 in Indien spielte und mit einer Königswanderung gewann. Dabei hat allerdings der Gegner kräftig mitgeholfen, weshalb uns diese Partie (deren Echtheit zudem umstritten ist) hier nicht weiter interessieren soll.

Unser letztes Beispiel teilt in mancher Hinsicht das Schicksal der Steel-Partie und ist ebenso typisch für viele der oft als "glanzvolle Siege" gezeigten Königsmärsche.
Zunächst ist gar nicht sicher, ob die Partie wirklich in einem Turnier gespielt wurde. Selbst über den Ort des Spiels (Holland, England?) gibt es widersprüchliche Aussagen. Auch der Name des Schwarzspielers konnte keinem aktiven Turnierspieler zugeordnet werden. Zudem lässt Schwarz nach heftigem Angriff mehrmals das forcierte Matt aus und wird am Ende sozusagen das Opfer seiner eigenen Opfer-Orgie. Dennoch enthält diese "Partie" so viele interessante Motive, dass wir sie hier nicht auslassen können.
van de Loo – Hesseling(?), England(?) 1983




Endspiel intensiv
Das "Prinzip der zwei Schwächen"

Wenn man sich der Endspiellehre annähert, sind auch eine Reihe strategischer Themen von Bedeutung. Sie gelten bei allen Endspieltypen unabhängig vom vorhandenen Material.
Zu diesen Aspekten gehört das Prinzip der zwei Schwächen. Es sagt ganz allgemein, dass ein einzelner kleiner Vorteil meist nicht ausreicht, das Endspiel zu gewinnen. Hat der Gegner aber mehrere Schwächen, wird er deren Verteidigung nicht bewältigen.
Das Trainingsmaterial zu diesem Thema befindet sich in einem eigenen Dokument:
Das "Prinzip der zwei Schwächen"




Ein lehrreiches Endspiel mit ungleichen Läufern

Wieder einmal liegt uns ein Endspiel vor, bei dessen ausführlicher Analyse wir eine Reihe überraschender Entdeckungen machen werden.
Wie man ja weiß, sind die Ressourcen des Verteidigers in einem Endspiel mit ungleichen Läufern besonders groß, selbst wenn er mit einem Bauern weniger kämpfen muss. Auch in dieser Partie werden wir uns davon überzeugen können.
Die ausführliche Analyse befindet sich in einem eigenen Dokument:
Ausführliche Analyse




Final Fun

Bild Schadenfreude ist uns Schachspielern ja völlig fremd, aber manchmal kommt sie eben doch auf. So hatte ich in der 6. Runde eines großen offenen Turniers bisher eigentlich eine recht gute Partie gespielt, den Gegner zu einigen schwächenden Bauernzügen am Königsflügel gezwungen. Doch nach seinem letzten Zug f6-f5 bekam ich einen gehörigen Schreck. Erst jetzt erkannte ich, dass nach dem geplanten Rückzug des Springers mit f5-f4 mein Läufer eingeklemmt und erobert wird. Als Alternative bleibt Se4-d6, wonach Schwarz letztlich zwei Leichtfiguren für den Turm bekommt und vor allem meine Stellung völlig perspektivlos bleibt: Die Türme wirken nicht, der Gegner hat ein starkes Läuferpaar. So dachte ich noch eine Weile darüber nach, ob ich diese Abwicklung spiele oder den Springer gleich für einen Bauern opfere (auf c5 oder eben auf e4). Völlig klar: Weiß hat nur die Wahl zwischen zwei ziemlich heftigen Übeln. Besonders ärgerte ich mich aber, dass ich dem Gegenüber diese Chance geboten hatte, ohne dass er etwas dafür getan hatte.

Während ich also nachdachte bot mir Schwarz plötzlich Remis und darauf muss ich wohl ziemlich unverständlich geguckt haben, wonach sich folgender Dialog entspann:
Er: Naja, sie verlieren eine Figur.
Ich: Ich verliere nicht eine Figur sondern zwei Figuren für'n Turm. Er: Ja, aber dann haben Sie eine ganz schlechte Stellung.
Ich: Da haben Sie recht.
Ich willigte also zähneknirschend in das Remis ein.
Ich: Aber warum haben Sie denn Remis geboten, wenn Sie wissen, dass Sie klar besser stehen?
Er: Wissen Sie – ich habe gestern gewonnen, wenn ich heute wieder gewinne, bekomme ich morgen einen starken Gegner. So wird der nächste Gegner nicht ganz so stark, da kann ich mit Weiß vielleicht gewinnen…

Nun gut – eine etwas merkwürdige Logik, dafür einen relativ sicheren Sieg zu verschenken – aber mir sollte es recht sein. Doch die Rechnung meines Gegners ging nicht ganz auf.
Am nächsten Tag (7. Runde) hatte er seine Partie als Erster unter allen Teilnehmern verloren – noch vor der halben Stunde Wartezeit, nach der die Zuspät-Kommer ihre Niederlagen angeschrieben bekamen. Der Gegner war also wohl doch nicht so schwach…
Tags darauf in Runde 8 (das muss ja nun erst recht ein schwacher Gegner gewesen sein) verlor er erneut und zur 9. Runde wurde er gar nicht mehr gesehen. So hatte ich am Ende des Turniers ganze 2 Punkte und mehr als 50 Plätze Vorsprung auf ihn. Die Rechnung mit dem "taktischen" Remisgebot war gründlich schief gegangen…




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Thomas Binder, 2010