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Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 19
Läuferopfer auf b5 im Sizilianer
Wann beginnt das Endspiel?
Bildhafte Begriffe am Schachbrett – Folge 5
Nachschlag
Final Fun
Zu den fast vergessenen Meistern des 19. Jahrhunderts gehört aus Polen stammende und in Frankreich tätige Samuel Rosenthal
(1837 – 1902). In der folgenden Partie – vermutlich aus einer seiner zahlreichen Simultanvorstellungen – findet er eine verblüffende,
auf den zweiten Blick aber logisch ganz klare Gewinnführung.
Rosenthal – NN, Paris 1869
Thematisch gut hierzu passend ist die folgende Aufgabe von Josef Breuer
Breuer, 1948 – Matt in 4 Zügen
In Trainingseinheit Nr. 5 haben wir die berühmte Partie von Alexej Schirow bewundert, der im Endspiel gegen Topalow durch ein überraschendes Läuferopfer seinen Freibauern
den Weg öffnete. Ein bemerkenswertes Vorbild zu dieser Kombination stammt von der Schach-Olympiade 1964, wo der DDR-Spieler Günther Möhring (1936 – 2006) im Duell
gegen England eine nahezu identische Lösung fand.
Hindle – Möhring, Tel Aviv 1964
Wir wissen noch nicht, welche Partien der Schach-Olympiade 2010 den dauerhaften Weg in die Annalen finden werden. Das folgende Scharmützel vom
Spitzenbrett der 7. Runde ist ein heißer Kandidat. Großmeister Iwantschuk ("Chucky") sorgte damit für den Sieg seines ukrainischen Teams
gegen Georgien. Die Ukrainer setzten sich mit diesem Sieg von den Verfolgern ab und gewannen später dieses bedeutendste Mannschaftsturnier.
Iwantschuk – Jobava, Russland 2010
Als den schönsten Zug der Olympiade kürte ein angesehenes Fachmagazin die folgende kleine Kombination des Holländers Daniel Stellwagen.
Corrales – Stellwagen, Russland 2010
Als Fortsetzung aus der vorigen Trainingseinheit geht es noch einmal um Opfergelegenheiten auf dem Feld b5, die sich oft in der Sizilianischen Partie ergeben. Diesmal sollen uns Fälle interessieren, bei denen sich zunächst der Läufer auf b5 opfert.
Wir beginnen erneut mit den relativ trivialen Beispielen, in denen Weiß das geopferte Material schnell und mit Zinsen zurück bekommt. Zunächst eine
Partie mit sofortigem Rückgewinn auf b7:
Bozic – Molerovic, Jugoslawien 1966
Auch auf dem Feld d5 steht oft eine unzureichend gedeckte Figur bereit.
Adam – Rasinar, Rumänien 2002
Wie bereits in der Folge über Springeropfer, so kann auch hier Weiß sehr oft in Vorteil kommen, wenn er den Vorstoß e4-e5 wirkungsvoll einsetzt.
Martin – Zuniga, Panama 1991
Cappallo – Khots, USA 1995
Sehen wir uns nun Partien an, in denen der Angreifer sofort die Attacke gegen den unrochierten König sucht.
Im ersten Beispiel begegnet uns ein Motiv, das wir auch schon in der vorherigen Folge gesehen haben.
Rojicek – Neuschl, Tschechien 2002
Ein oft gesehenes Muster bietet uns auch die folgende Partie.
Ringoir – Helgadottir, Kopenhagen 2007
Und noch ein Beweis dafür, wie schnell und schmerzhaft Schwarz hier untergehen kann.
Picanol – Sulleva, Spanien 1999
Wir haben in zahlreichen Beispielen gesehen, wie Weiß dank seines Riesen-Springers auf d6 triumphiert. Selbst wenn der Gewinn daraus nicht unmittelbar
entsteht, ist der Vorteil meist überwältigend.
Jimenez – Colon, Argentinien 1962
Zum Abschluss widmen wir uns einem Motiv, bei dem Schwarz den Gegner mit einem Qualitätsopfer auf a7 besänftigen will. Dazu konnte ich erstaunlich viele Beispiele finden.
Rigo – Horvath, Estland 1997
Gleiches Motiv – ähnliche Folgen … und zu guter Letzt auch ein Wiedersehen mit unseren alten Bekannten vom Damenflügel.
Meszaros – Nyback, Griechenland 1999
Über diese Frage kann man trefflich philosophieren: Wann beginnt das Endspiel? Schon der große Aljechin kapitulierte vor ihr: "Wir können
nicht definieren, wo das Mittelspiel endet und das Endspiel beginnt."
In der Vergangenheit hat es immer wieder unzureichende Ansätze einer Antwort gegeben. Oft wurde die Entscheidung an der reinen Materialbilanz festgemacht.
Großmeister Speelman sah die Grenze bei 13 Bauerneinheiten. Andere Skalen ziehen den Strich bei 11 oder 14 Punkten.
An vielen Stellen wird auf die Zahl der Figuren abgehoben. Der profilierte Autor Nikolai Minew möchte höchstens vier Figuren (außer Königen und
Bauern) auf dem Brett sehen. Großmeister Flear gar nur je eine weitere Figur von Weiß und Schwarz. Stellungen mit zwei Figuren (außer König und Bauern) auf jeder Seite bezeichnet
Flear als "not quite an endgame", also "Nicht-Ganz-Endspiele". Die englische Abkürzung NQE für diese Stellungen führt auf die lustig
klingende Bezeichnung "nuckie".
Zu den extremen Auswüchsen der hier betrachteten Frage gehört es, dass manche Autoren bereits die Abwesenheit der Damen als Endspielmerkmal ansehen. Obwohl sich diese Ansicht nicht ganz durchgesetzt hat, liest man immer wieder Kommentare, die bereits nach sehr frühem Damentausch von einem Endspiel sprechen.
Eine echte Kuriosität ist die (heute wohl nicht mehr nachprüfbare) Geschichte, dass frühe Schach-Programme die Regel enthielten, nach dem 40. Zug mit dem König nach vorn zu stürmen. Dies sei ein typisches Kampfmittel im Endspiel und nach dem 40. Zug sei ein solches ja wohl erreicht.
Ausgerechnet diese letzte Bemerkung führt uns an die treffendste Definition heran, wie sie von führenden Endspielexperten wie Edmar Mednis (1937 – 2002)
verwendet wird.
Das Endspiel ist dann erreicht, wenn die typischen Endspielprinzipien die Bewertung der Stellung bestimmen.
Welche Prinzipien sind damit gemeint?
Ausgehend von diesen Kriterien zeigt Mednis in "Vom Mittelspiel zum Endspiel" einige Stellungen, in denen jede Seite neben König und Bauern noch
4 bis 5 Figuren besitzt, die aber trotzdem alle Merkmale eines Endspiels besitzen. Nur wenn der Spieler sich dieser Situation bewusst ist, wird er die
richtigen Pläne zur Partiefortsetzung finden.
Hier ein kurzer Blick auf die von Mednis beispielhaft angegebenen Stellungen. Nach Flear sind sie wohl als "nuckies" anzusprechen.
NQE 1, aus der Tartakower-Variante des Damengambits
NQE 2, aus einer Variante der Englischen Eröffnung
NQE 3, aus der Königsindischen Verteidigung
Zurück zum Ausgangspunkt: Die Antwort auf unsere Frage scheint in einem Zirkelschluss zu bestehen, der uns nicht wirklich weiterhilft.
Was so paradox erscheint, offenbart eine tiefere Wahrheit: Fernab von schematischen Kriterien wie Figurenanzahl und -wert muss man für die konkret vorliegende Stellung entscheiden, ob sie die Merkmale eines Endspiels besitzt und kann dann sein Spiel danach ausrichten.
Die Ausführungen in diesem Abschnitt basieren wesentlich auf der englisch-sprachigen Wikipedia sowie Endspiel-Literatur von Edmar Mednis.
Nach längerer Zeit wollen wir uns mal wieder ein paar mehr oder weniger unterhaltsame und einprägsame Begriffe vor Augen führen.
Den Anfang macht heute das Flugzeug-Matt oder wie es auf Englisch wesentlich prägnanter heißt: airplane checkmate.
Als Beispiel wird immer wieder die folgende Kurzpartie der einstigen Weltklasse-Spielerin Mona Karff (1914 – 1998) zitiert:
Karff – Lugatsch, Berlin 1937
Und damit haben wir auch schon alles gesehen. Vermutlich gaben die Bewegung der Dame und ihre Wirkungslinien den Anstoß zum Namen des Mattbildes. Ein
wenig erinnern sie ja schon an die Tragfläche eines Flugzeuges.
Der geistreiche Tartakower prägte den Begriff quecksilbrige Bauern für solche, die sich unerschrocken durch die gegnerischen Reihen
schlängeln und schließlich die Partie entscheiden. Ein nettes Beispiel soll genügen. Viele weitere wird man verstreut in unseren Materialien entdecken.
Broschait – NN, 1939
Tiere auf dem Schachbrett? – Von einer Seeschlange ist die Rede, wenn eine Partie besonders lange dauert, meist setzt man die Grenze bei
100 Zügen an. Solche Seeschlangen können durchaus Angst machen: Sie sind der Schrecken jedes Turnierorganisators, bringen sie doch oft den ausgeklügelten
Zeitplan durcheinander.
Diese "Tierart" ist allerdings akut vom Aussterben bedroht. In der großen Chessbase-Datenbank mit fast 4,5 Millionen Partien finden sich knapp 10000 Seeschlangen,
das sind etwas mehr als 0,2%. Davon ging ziemlich genau die Hälfte mit einem Remis aus. In der anderen Hälfte halten sich Schwarz- und Weißsiege etwa
die Waage.
Immer mal wieder ist von einer 4. Partiephase die Rede. Was kann denn aber nach Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel noch kommen? Nun – gemeint ist die Phase "nach dem Endspiel", wenn beide Seiten einen Bauern zur Dame verwandelt haben. Natürlich sind wir auch dann noch im Endspiel. Doch im Gegensatz zu den früheren Phasen hat sich das Material noch einmal vermehrt. Scheinbar sichere Endspiel-Regeln werden noch einmal relativiert. So ist der König mitten auf dem Brett plötzlich neuen Schachgeboten oder gar Mattgefahren ausgesetzt. Die Bedeutung eines Mehrbauern verringert sich und Zugzwang-Situationen wird es seltener geben.
In Trainingseinheit 30 haben wir die berühmte Kombination studiert, die als Mitrofanows Ablenkung bekannt ist. Dort sahen wir neben dem Original
noch eine weitere Studie – beide höchst eindrucksvoll, aber beide mit dem kleinen "Makel" einer konstruierten Stellung. Christian Hesse und
einige weitere Autoren sind auf die Suche nach vergleichbaren Manövern in der praktischen Partie gegangen.
Beim ersten von Hesse angegebenen Beispiel ist die Verwandschaft zu Mitrofanows Zug noch etwas weit. Dennoch handelt es sich um eine brillante Kombination,
zu deren Entdeckung der Sieger wohl eine Reihe von Denkblockaden überwinden musste.
Ermenkow – Sax, Warschau 1969
Weiß opferte hier für eine minimale Hinlenkung seine Dame, ließ dabei sogar ein Schachgebot zu und triumphierte dennoch.
Noch wesentlich näher am Vorbild der berühmten Studie ist die Leistung des Berliners Günther Möhring in der folgenden Partie. Michael Ehn und Hugo
Kastner bringen diese Partie in einer Liste der phantastischsten Einzelzüge der Schachgeschichte auf Platz 2, der berühmte "Goldene Zug" von
Marshall rangiert hingegen nur an vierter Stelle… Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.
Möhring – Kaikamdsosow, Ungarn 1978
Bereits mehrfach haben wir die Möglichkeit eines Bauerndurchbruchs im Endspiel besprochen. Die folgende Partie aus der schwedischen Mannschaftsmeisterschaft
ist eine weitere Illustration. Zu Beginn leitet der auch in Berlin gut bekannte Stellan Brynell in ein Bauernendspiel ein, dass er völlig falsch eingeschätzt
hat. Auch auf die Brisanz solcher Entscheidungen waren wir in früheren Lektionen schon eingegangen.
Brynell – Hellborg, Schweden 2002
Es ist gar nicht so selten – und bei der Fülle des Materials wohl auch unvermeidbar – dass sich in Schachbücher immer wieder inhaltliche
Fehler einschleichen. Natürlich kann man über die Bewertung einer Stellung oft verschiedener Meinung sein, aber es gibt auch die peinlichen Fälle, in
denen renommierte Autoren ganz einfache Widerlegungen übersehen haben.
Aus der gewiss wesentlich größeren Fülle solcher Missgeschicke hat der Autor Christian Hesse drei besonders gravierende Beispiele heraus gepickt.
Unser erstes Beispiel stammt – unfreiwillig – aus der Feder von Großmeister Isaak Boleslawski (1919 – 1977) aus seinem 1969 erschienenen
Eröffnungslehrbuch über die Königs- und Grünfeld-Indische Eröffnung.
Analyse von Boleslawski
Zur Entlastung des Autors sei gesagt, dass seine Analyse wohl akademischer Natur war. In der Mega-Database mit 4,5 Millionen Partien findet sich die
vorliegende Stellung nicht.
Gehen wir in der Geschichte weiter zurück und zugleich zum wohl berühmtesten Schach-Lehrbuch von Jean Dufresne . Es erschien erstmals 1881 und
erlebte schon bis zu Dufresnes Tod 1893 sechs Auflagen. Später wurde es von anderen Autoren fortgeführt und wird auch in der Gegenwart immer noch
aktualisiert und neu heraus gegeben. Um die Jahrhundertwende war zunächst Jacques Mieses der federführende Autor. Aus jener Zeit stammt unser
zweites Beispiel.
Aus dem Lehrbuch des Schachspiels
Zum Schluss nun sogar zu einem Weltmeister: Wilhelm Steinitz veröffentlichte gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige Analysen zum Evans-Gambit.
Wir haben diese aktionsgeladene Eröffnung in Trainingseinheit 26 kennen gelernt. Sehr viel Mühe machte sich Steinitz damit nicht, glaubte er doch, die
Widerlegung des Gambits gefunden zu haben, nämlich "… den Zug, mit dem er alle Spieler des Evans-Gambits niederringen könne."
Bald nach der Veröffentlichung musste er sich jedoch kleinlaut korrigieren.
Wilhelm Steinitz über das Evans-Gambit
Laut Chessbase-Megabase gibt es übrigens auch hierzu keine praktischen Beispiele.
Kein Wunder, dass diese eklatanten Fehler alle aus der Vor-Computer-Ära stammen. Heute wird jeder verantwortungsvolle Autor seine Texte mit Computerhilfe prüfen und diese Peinlichkeiten vermeiden. Dennoch würden wir uns nicht wundern, wenn man auch auf diesen Trainingsseiten die eine oder andere Unkorrektheit findet – es muss ja nicht gleich ein Einzüger sein… Hinweise dazu nehmen wir gern entgegen.
Für Fragen, Kritiken und Anregungen bitte Email an mich