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Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 23
Matt-Überraschungen im Endspiel
Das Nachlademotiv
Im Quiz-Format
Was ist eigentlich…
Nachschlag
Final Fun
Immer zu Jahresbeginn blickt die Schachwelt nach Holland, wo in Wijk aan Zee eines der bedeutendsten Schachturniere stattfindet. Zu seiner
Geschichte kann man sich im passenden Wikipedia-Artikel informieren.
Irgendwie gelingt es den Organisatoren immer wieder, ein Starterfeld zusammenzustellen, das für aufregende Partien auf höchstem Niveau garantiert.
Andere Turniere dieser Güte zeichnen sich oft durch langweiliges Remis-Geschiebe aus. In Wijk ist irgendwie alles anders.
Wir haben einige besonders bemerkenswerte Partien ausgewählt.
1999 gewann Weltmeister Garri Kasparow das Turnier. Seine Partie gegen den Bulgaren Topalow ging in die Geschichte ein. Selbst auf der
Video-Plattform Youtube findet man ausführliche Darstellungen dieses Spiels, eine davon unter dem Stichwort "Kasparov Sacrifices Everything!!!".
Die für ihre sehr anspruchsvollen Analysen bekannte Zeitschrift SCHACH widmete der Partie sieben Seiten.
Kasparow – Topalow, Niederlande 1999
Die Turnierauflage 2013 hielt ebenfalls viele bemerkenswerte Details bereit. So erreichte der Norweger Magnus Carlsen mit 2872 eine neue
Rekord-ELO-Zahl. In besonderer Erinnerung bleibt aber die Glanzpartie von Weltmeister Visvanathan Anand gegen den Armenier Lewon Aronjan (immerhin
die Nr. 3 der Weltrangliste). Anand gewann eine "Kurzpartie", die ihren Weg in die Schachlehrbücher finden wird.
Aronjan – Anand, Niederlande 2013
Übrigens verwieß Anand auf gewisse Ähnlichkeiten dieser Partie mit dem historischen Vorbild Rotlewi – Rubinstein von 1907. Wir haben jene Partie
in der 4. Trainingseinheit vorgestellt.
Nach dieser schweren Kost zur Abwechslung ein Endspiel-Quickie. Wir sehen die entscheidende Partie der B-Gruppe von Wijk im Jahre 2013.
Naiditsch – Rapport, Niederlande 2013
Und noch ein Quickie – diesmal reine Taktik. Daher bitte ich, die Lösung zunächst vom nebenstehenden Diagramm zu versuchen und erst dann nachzuprüfen.
Hinweis: Es führen sogar mehrere Wege zum Ziel. Also: Weiß zieht und gewinnt.
Harikrishna – van Wely, Niederlande 2013
Überraschende Mattwendungen bei sehr reduziertem Material sind immer wieder hübsch und lehrreich anzusehen. Wir haben in Trainingseinheit 20 eine größere Auswahl präsentiert. Auch in der Folge sind uns solche Motive immer mal wieder am Wegesrand begegnet. Jetzt ist Gelegenheit, sich wieder verstärkt dem Thema zu widmen.
Wir beginnen mit zwei ganz aktuellen Beispielen.
Im Finale der Berliner U12-Meisterschaft zauberte der überlegene Sieger in der letzten Runde – schon als Turniersieger feststehend – selbst
mit ungleichfarbigen Läufern ein Mattbild aufs Brett.
Granzin – Petersen, Berlin 2013
Nur einen Monat später ereignete sich in der Berliner Stadtliga folgende Kuriosität:
Sappok – Dr. Kribben, Berlin 2013
Eine hübsche Variation zu einem altbekannten Thema liefert die folgende klassische Partie.
Piskalniece – Berzinsch, Riga 1962
Nehmen wir es als willkommene Warnung vor solchen scheinbar einfachen Stellungen. Wird der König im Zentrum derart eingeklemmt, ist sehr oft große
Mattgefahr gegeben.
Mit dem etwas martialischen Namen "Nachlademotiv" beschreiben die Schachtaktiker eine Situation, bei der zwei gleichartige Figuren nacheinander
auf dem gleichen Feld auftauchen. In der Regel ebnet die erste Figur mit einem Opfer den Weg zum entscheidenden Schlag mit der zweiten.
Besonders prädestiniert sind die Springer für solche effektvollen Aktionen.
Sehen wir zunächst ein einfaches Beispiel aus dem eigenen Hause:
Rosenhain – Granzin, Berlin 2013, Berliner Meisterschaft U12
Ein Vorbild für die Idee könnte folgende Partie aus der Britischen Meisterschaftsliga sein.
Buckley – Davies, Großbritannien 2008
Höchst eindrucksvoll ist die nachfolgende Kombination zum gleichen Thema. Das Nachlademotiv wird um einen Zug verzögert ausgeführt, ohne dass der Gegner
eine brauchbare Gegenwehr hätte.
Pavlovic – Cabrilo, Serbien 1991
Beginnend in dieser Trainingsfolge wollen wir ein paar Fragen mit Multiple-Choice-Antworten zur Diskussion stellen. Wichtig ist, dass diese
Aufgaben immer "vom Bild" gelöst werden sollen – also sozusagen unter Wettkampfbedingungen ohne Zuhilfenahme von Figuren oder Computer.
Die unten folgenden Lösungen dienen nur der Kontrolle. Bitte klickt sie erst an, wenn ihr euch eine klare Meinung gebildet und für eine Antwort
entschieden habt.
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Bitte erst in die Lösungen schauen, wenn ihr euch für eine der Antworten A – D entschieden habt.
Aufgabe 1: Binder – Schöbel, Potsdam 2012
Aufgabe 2: Weiß – Binder, Berlin 2013
Aufgabe 3: Schilly – Schlittermann, Berlin 2010
Aufgabe 4: Variante zu einer Partie der Berliner Meisterschaft, Berlin 2013
Wir wissen um die enorme Wendigkeit des Springers und es leuchtet ein, dass man sich deshalb besonders vor Schachgeboten dieser Figur in Acht nehmen
muss. Das gilt gerade im Endspiel, wo ein Springer oft mit Schach ein Tempo gewinnt und dann gerade noch rechtzeitig kommt, an anderer Stelle des
Bretts Schaden anzurichten.
Die Faustregel dafür lautet natürlich, sich auf der anderen Felderfarbe zu bewegen. Weil der Springer mit jedem Zug die Farbe unter seinen Hufen
wechselt, kann er uns dann kein Schach geben.
Außerdem ist es wichtig, die nebenstehende Konstellation zu kennen, gewissermaßen die diagonale
Opposition der beiden Figuren. Obwohl Springer und König auf gleicher
Farbe stehen – und doch recht nahe beieinander – hat der Springer jetzt kein Schachgebot. Wenn sich der König nicht bewegt, braucht
Weiß hier mindestens drei Züge bis zu einem Schachgebot.
Der Endspielexperte Karsten Müller hat dafür den Begriff Springerschachschatten geprägt. Folgt der König dem Springer in diesem Schatten ist er
zumindest vor Schachgeboten sicher.
Bei einer Beweispartie (engl. Proof Game) geht es einfach darum, zu zeigen, dass und wie eine bestimmte Stellung mit regelkonformen Zügen aus der Ausgangsstellung
erspielt werden kann. Dabei kommt es nicht auf die schachliche Sinnhaftigkeit dieser Züge an. Oft ist das ganze Gegenteil der Fall.
Ursprünglich diente diese Methode dazu, komponierte Aufgabenstellungen auf ihre "Legalität" zu überprüfen. Auch im Rahmen von Beweisführungen im
Retroschach spielen solche Überlegungen eine Rolle. Zudem hat sich eine ganz eigene Form von Schachaufgaben entwickelt. Es ist eine Stellung und die
Zahl der Züge vorgegeben und es soll die Zugfolge bestimmt werden. Dabei muss man oft "um die Ecke" denken und gewohnte schachliche Zugschemen hinter
sich lassen.
Um uns in diese Welt einzufühlen, blicken wir auf vier Beispiele. Die Aufgabe lautet in allen Fällen:
Die Stellung ist nach genau vier Zügen beider Seiten entstanden. Wie lauten die Züge?
Bevor ihr in die Lösungen schaut, versucht euch selbst an den Aufgaben. Die Art, in der man hier denken muss, bereitet durchaus Vergnügen.
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Das erste Beispiel stammt von dem Ungarn Tibor Orban (1956 – 1981). Es zeigt uns bereits ein typisches Motiv: Eine Figur kehrt schlagend auf ihr Ausgangsfeld zurück. Beweispartie – Aufgabe 1, Tibor Orban 1976 |
Ein anderes gern gesehenes Verführungsmittel ist der "Impostor", also der Schwindler. Das meint eine Figur, die scheinbar noch auf ihrem Ausgangsfeld steht, in Wahrheit aber den Platz des Kollegen eingenommen hat. Naturgemäß kommen dafür nur Springer und Turm in Frage. Beweispartie – Aufgabe 2, Geza Schweig 1938 |
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Jeff Coakley – dessen sehr interessante Internet-Kolumne mich auf das Thema aufmerksam machte – zeigt uns eine weitere Idee der sogenannte Proof Games. Eine Figur nimmt zu ihrem Zielfeld nicht den direkten Weg, sondern verschenkt ein Tempo. Wenn dann die Zwischenstation geschickt maskiert ist, wird es schon ziemlich vertrackt. Beweispartie – Aufgabe 3, Jeff Coakley 2012 |
Und noch einmal ein typischer "Coakley". Wie ist wohl diese Stellung nach beiderseits genau vier Zügen möglich? Beweispartie – Aufgabe 4, Jeff Coakley 2012 |
Patt-Rettungen im Endspiel sind immer wieder faszinierend. In unserem aktuellen Beispiel treffen zwei der gegenwärtig stärksten Spielerinnen
der Welt aufeinander.
Socko – Ju Wenjun, Türkei 2012
Kommen wir wieder einmal zum ewigen Thema "Bauerndurchbruch":
Eine recht interessante Variante, die den Durchbruch mit Betrachtungen zur Quadratregel verbindet, ereignete sich bei der Mannschafts-WM der Frauen im
Duell zwischen Russland und Georgien.
Gunina – Dzagnidze, Kasachstan 2013
Mehr mit Unterhaltungswert sei eine Studie ergänzt, die sozusagen die Maximalfassung des Bauernduchbruchs zeigt. Zwei intakte Acht-Bauern-Ketten stehen
sich gegenüber.
Studie von Cathignol, 1981
In letzter Zeit gelangen mir mehrere interessante Partien, die vielfach auf bereits besprochene Themen Bezug nehmen:
Eine Partie aus dem Open in Potsdam in den letzten Tagen des Jahres 2012 bringt unsere Erinnerungen auf
Von besonderem Reiz ist natürlich vor allem die hübsche Schlusswendung. Aber auch schon einige Züge früher lohnt der Blick in die Varianten.
Binder – Adam, Potsdam 2012
Zwei Partien aus dem offenen Berliner Qualifikationsturnier von 2013 zeigen die Gewinnführung in einem lange Zeit ausgeglichenen Endspiel. Das hat vor allem mit Psychologischer Initiative (siehe auch Trainingseinheit 56) und Themen aus der Endspielstrategie zu tun. Zu letzteren gehören das Prinzip der zwei Schwächen (siehe Trainingseinheit 51) und der Minoritätsangriff.
Das Material zu diesen Partien findet sich in einem eigenen Dokument:
Endspielanalysen Gall – Binder und Möller – Binder
Der amerikanische Schachaufgaben-Erfinder Sam Loyd (1841 – 1911) ist für viele besonders geistreiche Aufgaben bekannt – aber auch für manchen Spaß.
Einer seiner Bekannten scheiterte regelmäßig an der Lösung seiner Aufgaben, und seien sie noch so leicht gewesen. Doch immer hatte er eine stereotype
Ausrede parat: "Achso – ich dachte die Bauern ziehen in die andere Richtung.".
So komponierte Loyd also eine sehr einfache Aufgabe, bei der diese Ausrede garantiert nicht zieht…
Sam Loyd, Matt in einem Zug
Der russische Schachmeister Jefim Bogoljubow (1889 – 1952) ließ sich 1914 in Deutschland nieder, wo er fortan der stärkste Spieler war.
Zweimal forderte er Weltmeister Aljechin im Titelkampf heraus und stand 1927 nach heutigen Maßstäben kurzfristig an der Spitze der Weltrangliste.
Als Profi lebte er von den Einkünften aus Preisgeldern, Honoraren (z. B. für Simultanspiele) und ähnlichen Aktivitäten. Einen Eindruck von seinem
unsteten Alltag vermittelt die launische Bemerkung aus einem Interview, das er 1932 gab:
"Wie Sie wissen, ist Frl. Lotte S. aus Frankfurt mein „Manager”. Seitdem weiß ich nicht mehr, wo und wann ich spiele. Und seit neulich der Vorsitzende
des Schachklubs in Bad N., Dr. H., (der es als gebildeter Mann ja wissen muss), meinen Namen in einer großen Rede mit einem mir unaussprechlichen Akzent
ausgesprochen hat, weiß ich auch nicht mehr, wie ich heiße!"
Für Fragen, Kritiken und Anregungen bitte Email an mich