Trainingsmaterial Nr. 66

Inhaltsverzeichnis

Glanzstücke der Schachgeschichte – Folge 27
4 x 4 im Quizformat
Entdeckungen bei einem Buchprojekt
Figuren im Zusammenspiel – Ein klassisches Fesselungsmotiv
König und Randbauer gegen König
Nachschlag




Glanzstücke der Schachgeschichte

Im Duell zweier deutscher Nachwuchsspieler gelingt dem U16-Weltmeister Roven Vogel die Entscheidung mit einem effektvollen Damenopfer und einer langzügigen Mattführung.
Buckels – Vogel, Deutschland 2017
Für ein Damenopfer auf f3 in solcher Form gibt es historische Vorbilder. Das klassische Beispiel stammt aus der Moskauer Meisterschaft von 1929. Dem Damenopfer geht hier noch ein Qualitätsopfer voraus, dafür ist die Mattführung deutlich kürzer und relativ "einfach" zu berechnen.
Popow – Rjumin, Sowjetunion 1929

Die heutige Generation der Top-Schachspieler entzückt uns immer wieder mit aufregenden Partien, in denen es einen heftigen taktischen Schlagabtausch gibt. Damenopfer sind dabei gar nicht so selten.
Blicken wir dazu auf zwei aktuelle Partien, die in der Schachpresse für Aufsehen sorgten.
Anand – Caruana, USA 2017
Bai – Ding Liren, China 2017




4 x 4 – Im Quiz-Format

Bitte löst auch diesmal die Aufgaben "vom Blatt" ohne Computerhilfe und möglichst auch ohne Schachbrett.

  1. Schwarz ist am Zuge. Er hat einen Bauern weniger und sein König steht recht offen. Wie geht die Partie weiter?
    1. Weiß gewinnt leicht dank seines Mehrbauern und der offenen Königsstellung von Schwarz.
    2. Weiß erzwingt den Abtausch aller Schwerfiguren und gewinnt das Bauernendspiel.
    3. Schwarz gewinnt die Partie sofort mit einem starken taktischen Schlag.
    4. Mit einem starken taktischen Schlag erreicht Schwarz ein Remis.

  2. Im Endspiel soll man den König aktivieren. Bitte urteilt, ob die sofortige Aktivierung auf den hier angedeuteten Pfaden der richtige Weg ist. Schwarz ist am Zug!
    1. Beide Spieler sollten sofort die Könige in der beschriebenen Weise aktivieren. Die Partie bleibt ausgeglichen.
    2. Weiß soll so spielen, wie angedeutet, für Schwarz wäre es indes ein Fehler.
    3. Schwarz soll so spielen, wie angedeutet, für Weiß wäre es indes ein Fehler.
    4. Die Könige beider Spieler sollten lieber im sicheren Hafen bleiben und dürfen sich noch nicht ins Freie wagen.
Bild Bild
Aufgabe 1 Aufgabe 2
  1. Weiß hat eine Mehrfigur für drei Bauern. Aber sein Turm auf g2 ist gefesselt und angegriffen. Weiß ist am Zug.
    1. Mit einem starken taktischen Schlag erlangt Weiß sofort gewinnbringenden Vorteil.
    2. Weiß schafft es, selbst Dauerschach zu geben.
    3. Weiß stellt eine starke Drohung auf, aber Schwarz rettet sich ins Dauerschach.
    4. Weiß wird den Turm verlieren und steht dann auf Verlust.

  2. Schwarz hat den weißen Turm d2 angegriffen und will nach dessen Wegzug den Bauern d3 schlagen. Wie soll Weiß reagieren?
    1. Weiß soll die Qualität opfern, den Turm also auf d2 stehen lassen.
    2. Es ist egal, ob Weiß den Turm nach c2 oder e2 zieht.
    3. Der Turm muss nach c2 ziehen.
    4. Der Turm muss nach e2 ziehen.
Bild Bild
Aufgabe 3 Aufgabe 4
Bild … mit Zugabe

Ausnahmsweise gibt es zum "4x4" heute eine kleine Zugabe der mehr spaßigen Art. Ich beobachtete diese Partie bei einem internationalen Open quasi "en passant" (also "im Vorübergehen") und staunte nicht schlecht, dass solche "Lehrbuchstellungen" auch im richtigen Leben vorkommen.
In der abgebildeten Stellung ist Schwarz am Zuge. Wie sollte die Partie enden?

  1. Dame gegen Dame: Jedes Weiterspielen ist zwecklos – Remis.
  2. Schwarz gewinnt sofort.
  3. Die Partie endet auf lehrreiche Weise mit einem Patt.
  4. Schwarz gerät in Zugzwang und verliert noch.
Die Lösungen

Bitte erst in die Lösungen schauen, wenn ihr euch für eine der Antworten A – D entschieden habt.
Aufgabe 1: Weishäutel – Binder, Potsdam 2017
Aufgabe 2: Tedesco – Binder, Potsdam 2017
Aufgabe 3: Oelmann – Hüls, Berlin 2017
Aufgabe 4: Abdollahnia – Chokr, Berlin 2017
Aufgabe 5: Hentley – Karyah, Berlin 2017




Entdeckungen bei einem Buchprojekt

Ich bin gerade an der Neubearbeitung eines Manuskripts von Hans-Peter Kraus beteiligt. Sein köstlich formuliertes Lehrbuch über Fesselungs- und Entfesselungskombinationen soll eine ergänzte Auflage als Buch erfahren. Kraus' Text und erst recht seine Quellen stammen aus jener Ära, da noch keine Computerprogramme zur Verfügung standen, mit denen man alle Partien prüfen konnte.
Ich habe nun die Aufgabe übernommen, diese Prüfung nachzuholen – Engine-Check nennt man das in Fachkreisen. Sehen wir einige der dabei zutage getretenen Entdeckungen.

Unser erstes Beispiel ist etwas kompliziert. Es basiert auf einer Partie, die 1952 in der Sowjetunion gespielt wurde. Hier zunächst die Partiefolge und die Bemerkungen des Autors zu einer Alternativ-Variante.
Engine-Check, Nummer 1a
So weit – so gut. Doch die von Kraus verworfene Variante lässt sich retten. Stellen wir uns kurz vor, in der Stellung nach dem Schlagen der weißen Dame wären die beiden Läufer nicht auf dem Brett. Dann wäre dieser Zug ein Schachgebot und die Sache stellte sich ganz anders dar. Und genau das lässt sich durch Vorschalten einer kleinen Kombination erreichen.
Engine-Check, Nummer 1b

Im nächsten Beispiel sehen wir, dass man mit pauschalen Aussagen immer vorsichtig sein muss, auch und gerade bei der Analyse von Schachpartien.
Engine-Check, Nummer 2

Besonders gefällt mir die folgende Stellung. Die von Kraus unter den Themen "Fesselung" und "Zugzwang" vorgestellte Analyse ist komplett korrekt. Falsch ist indes die Bewertung der Endstellung. Eine studienartige Lösung rettet für Schwarz das Remis.
Engine-Check, Nummer 3

Zur Ehrenrettung des Autors sei gesagt, dass etwa 95% seiner Analysen der Computerprüfung standhielten. Allenfalls gab es dort Ergänzungen, die jedoch den Ausgang der jeweiligen Partie nicht veränderten. Doch auch dabei gelang noch manche hübsche Entdeckung, so in unserem abschließenden Beispiel.
Engine-Check, Nummer 4

Eine weitere kleine Korrektur an diesem Manuskript – oder zumindest eine offene Frage an die Schachgeschichte – bleibt bei der Partie Mednis – Collins. Auf die Fragezeichen, die sich dort ergeben, sind wir schon in Trainingseinheit 30 eingegangen.


Inzwischen ist das Projekt fortgeschritten und die Veröffentlichung des Manuskripts in Buchform steht bevor. Dabei hat der Autor meine Anmerkungen weitgehend übernommen und den Text insofern korrigiert bzw. ergänzt. Die Veröffentlichung hier bleibt eine Momentaufnahme und lässt ahnen, welchen "Reifungsprozess" sicher auch jedes andere gute Schachbuch durchgemacht hat.




Figuren im Zusammenspiel – Ein klassisches Fesselungsmotiv

Über Fesselungen stolpert man in taktisch geprägten Schachpartien an jeder Ecke. Das Motiv, dem wir uns heute widmen wollen, hat dabei einen gewissen Standard-Charakter. Die Gelegenheit dazu bietet relativ häufig – wird aber fast ebenso oft ausgelassen.

Wenn wir es in Worten beschreiben wollen, geht das etwa so: "Der König wird per Turmopfer auf das Eckfeld (z. B. h1) gelenkt. Dann kann die Dame von (z. B.) h3 aus Schach bieten, weil ein Bauer (in diesem Falle g2) gefesselt ist. Im nächsten Zug schlägt sie eben diesen Bauern und setzt matt. Dabei erfüllt ein Läufer auf der langen Diagonalen gleich zwei Aufgaben: Er erzeugt die Fesselung und sichert das Mattfeld."

Zu kompliziert? Sehen wir es uns an:

Mädler – Uhlmann, DDR 1963
Bruck – Gandolfini, Italien 1939

Im nächsten Beispiel leitet die Weiß-Spielerin das Motiv sogar mit zwei Opfern ein. Allerdings hätte sich Schwarz bei Kenntnis der Idee stärker verteidigen können.
Schubert – Geißler, Deutschland 1992

Auch im nächsten Fall geht dem Matt ein doppeltes Opfer voraus, hier werden die weißen Türme ins Geschäft gesteckt.
Faraoni – Murgia, Italien 2004




König und Randbauer gegen König

Nach längerer Zeit widmen wir uns heute mal wieder einem elementaren Endspiel-Thema, dessen sichere Beherrschung aber besonders wichtig ist.
Wenn ein Spieler nur noch König und Randbauer (also einen a- oder h-Bauern) gegen den alleinigen König seines Gegners hat, ergeben sich einige Besonderheiten im Vergleich mit anderen elementaren Bauernendspielen.
Die Möglichkeiten des Verteidigers, um ein Remis zu kämpfen, sind gegen den Randbauern ungleich größer.

Erster Merksatz: Es ist Remis, wenn der verteidigende König vor den Bauern kommt. Sein Ziel ist dabei das Erreichen der Umwandlungsecke.
Randbauer – Lehrbeispiel 1

Umgekehrt gewinnt die Seite mit dem Bauern immer dann, wenn es ihr gelingt, die wichtigen Felder auf den beiden letzten Reihen der benachbarten Linie zu besetzen. Diese nennen wir daher Schlüsselfelder.
Randbauer – Lehrbeispiel 2

Kommen wir nun zu Konstellationen, bei denen weder der Verteidiger in die Ecke gelangt noch der Angreifer die Schlüsselfelder besetzt. Der Verteidiger hat dann ein zweites Remisverfahren: Er kann den angreifenden König auf der Randlinie einsperren.
Randbauer – Lehrbeispiel 3
Nebenbei haben wir im vorigen Beispiel erkannt, dass es auch für den Verteidiger Schlüsselfelder gibt. Hier waren es die Felder f1 und f2. Wenn man diese besetzt, kann der Gegner nicht mehr gewinnen – abgesehen von einem trivialen Einzelfall.

Sehen wir nun noch, wie im Falle dieser Einsperrvariante der Kampf weiter geht.
Entweder setzt man den Angreifer patt…
Randbauer – Lehrbeispiel 4
… oder man gelangt doch noch in die Umwandlungsecke.
Randbauer – Lehrbeispiel 5




Nachschlag

Auch heute gibt es wieder einen Blick auf neue bzw. neu entdeckte Beispiele zu bereits besprochenen Themen.

Zunächst sehen wir einen sehr eindrucksvoll gespielten Bauerndurchbruch.
Svacina – Müller, Wien 1941

Dass der Zugzwang in Endspielen ganz oft die entscheidende Waffe zur Realisierung eines Vorteils ist, sollte sich schon herumgesprochen haben. Unlängst konnte ich einer Partie beiwohnen, in der dies sehr eindrucksvoll demonstriert wurde.
Schilly – Hecht, Berlin 2018

In der Trainingseinheit 60 hatten wir einen recht kuriosen Versuch einer Patt-Rettung durch "ewige Verfolgung" gesehen. Daran wurde ich erinnert, als ich im eigenen Verein eine ähnliche Partie beobachten konnte.
NN – Steinberg, Berlin 2018




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Thomas Binder, 2018