Bild Aus der Jubiläumsschrift von 1974 (II)

Wülfing Etter

Die Jahre sind die Meilensteine der Zeit

Bild

25 Meilen bieten einen noch gar schmächtigen Ausschnitt auf der unendlichen Wegstrecke. Dennoch: Meilenstein 25 läßt zum ersten Mal verweilen mit einem Blick zurück, der – wieder vorwärts gerichtet – einen Hauch von Ehrfurcht aufgenommen hat.

Hier am 25. Meilenstein, wird so etwa Geschichte anfangen. Von hieraus wachsen die Keimlinge der Legenden sich aus. Das "Damals" gewinnt schon einen echten Klang. Neblig verschränken sich die Bilder. Dichtung und Wahrheit beginnen ihren ehrlichen Wettstreit. Markante Konturen verwaschen in zwielichte Übergänge. Für verblaßte Stellen werden in mühsamer Rückbesinnung Farben beschworen, von deren Echtheit man nicht mehr so recht überzeugt sein will.

Beim 25. Meilenstein hast Du noch Weggenossen. Das erleichtert. Sie haben ein Stück Deines Schicksals vom ersten Stein an mitgelebt, sind mitgealtert. Sie ergänzen dich, im Bewahren Dir gesellig. In 25 Teilabschnitten hat sich ein generativer Übergang vollzogen. Mindestens diese eine stille Revolution hast Du erlebt. Alles scheint ein wenig schneller um Dich herum. Bedächtiger setzt Du Deine Schritte. Neue Kameraden kamen, blieben oder gingen wieder. Mit Schwung brach sich der eine oder andere Bahn zu Dir, an Dir vorbei. Aufstrahlende Versprechen erloschen. Siehst Du alle Bewegungen dieser Jahre gedrängt, so war doch eine ziemliche Unruhe ringsum, ein Schieben und Drängen gesammelter Kraft, zielgerichtet auf den Weg nach vorn.

Seltsam eigentlich, daß man allem Widerstand zum Trotz den einmal erreichten Stammbereich ungefährdet erhalten konnte. Gingen inzwischen nicht alle Rekorde von damals dahin und stürmten in den Jahren Junge die Marken der Vorderen nicht ständig zu Hauf? Gelten für den Denksport Schach andere Gesetze? Denn auch im Spitzenschach behaupten sich die Großen über Jahrzehnte. Schauen wir hin zum schachpopulären Rußland mit Schach als Schulfach. Wie lange bemüht sich dieses Land mit scheinbar unerschöpflichem Reservoir von guten Schachspielern um die "Wachablösung" an der Spitze, in der Namen wie Botwinnik, Petrosjan, Spasski, Kortschnoi, Tal, Smyslow, Keres und andere ihren guten Klang und Rang einfach nicht verlieren wollen.

Und schauen wir unseren Weg zurück:
Sechs unserer Mitglieder – vier von ihnen sind Mitbegründer – sind ununterbrochen 25 Meilen mitgegangen:
Dietrich Frische – geb. 1896 – gehörte für die Zeit seiner Beteiligung an Wettkämpfen um die interne Meisterschaft zu dem engeren Kreis der Aussichtsreichen, fast ein Jahrzehnt lang. Bei seinem dann nur noch sporadischen Auftreten im Turniersport holte er sich vor 5 Jahren die interne Pokalmeisterschaft.
Alex Hasselberg – geb. 1896 – noch heute aktiv, gewann seinen spielstärkegemäßen Stammplatz in der zweiten Hälfte der zweiten Klasse. Jegliches Pendeln hat auf diesen schachpersönlichen Kurvenpunkt seine Ausschläge bezogen.
Otto Preuß – geb. 1898 – war wegen seines Wohnsitzes in Falkensee lange Jahre von unserem Spielbetrieb ausgeschlossen gewesen. Diese Unterbrechung war einfach zu lang, um den Anschluß an die frühere Ebene (obere Hälfte der ersten Klasse) wiederzugewinnen. Wer seinem heutigen Spiel zuschaut, gewahrt noch deutlich von der Kraft seines Stils, der noch immer den Eindruck erweckt auch jedem Erstklassigen damit gefährlich werden zu können.
Ernst Plötz – geb. 1899 – durchgehend aktiv, hat seine feste Zuordnung zunächst im unteren Drittel der ersten Klasse gehabt, dann im oberen Drittel der zweiten Klasse gefunden. Eine Rückkehr in diesen Stammbereich ist wie eine Rückkehr in den Heimathafen. Hier stehen die Wurzeln nun mal am tiefsten.
Alfred Schwenk – geb. 1902 – an stetiger Turniertreue ein Beispiel. Er hält wohl die ausgeglichenste Kurve. Er hat sich die Zugehörigkeit zur ersten Klasse erspielt, die er selten ganz ohne Abstiegssorgen, dennoch wohl mit nur zwei Ausnahmen Jahr um Jahr meisterte.
Alfred Henke – geb. 1914 – von durchhaltender Zuverlässigkeit für Turnier- und Mannschaftsaufgaben, hat das Schachspielen so richtig erst bei uns gelernt. Seine anschließende Entwicklung im Verein hat ihn in den Pendelgang zwischen der ersten und zweiten Klasse gelangen lassen mit einem Überhang an Aussichten für die erste Klasse.

Fünf unserer Jubilare sind um die Jahrhundertwende geboren, nunmehr über 70 Jahre alt. Auch für die ständig Aktiven unter ihnen wird es schwieriger, den Stammbereich als Mittelpunkt zu halten. Dennoch werden sie nur schrittweise nachgeben. Sie haben uns jedenfalls gelehrt, daß der Schachspieler seine mittlere Leistungsmarke über Jahrzehnte durchhalten kann. Und dann haben auch die später hinzugekommenen Mitglieder, sofern sie langjährig aktiv bleiben, ihren Stabilisierungsbereich abgesteckt.

Die Deutlichkeit dieser Erfahrung wurde allerdings begünstigt durch die seit langem ungefähr gleichbleibende Mitgliederzahl.
Ist das nun ein Spezifikum des Schachs? Nein!!!
Im Tennissport, also einem körperlichen Sport, beobachten wir an der Spitze langjährig dieselben Namen. Auch in einem Tennisclub gibt es eine ähnliche Stabilisierung der Rangliste wie im Schach.

In anderen Sportdisziplinen wiederum – insbesondere im Schwimmen – schlagen die Rekorde Purzelbäume und wechseln die Namen in einer jeder Sportart eigenen Stetigkeit. Es gibt offenbar ausgesprochen konservative und ausgesprochen schnellebige Sportarten, und inmitten dieser Pole sind die übrigen eingeordnet. Der Grad der Schnellebigkeit oder des Konservativen wird bestimmt von der Zugänglichkeit für andere Techniken und technische Hilfsmittel. So läßt die sich ständig ändernde Technik des Eintauchens, Wendens und Schwimmens im Schwimmen fast stündlich Rekorde sterben. Die Folge ist der schnelle Verschleiß der Rekordträger, die mit zwanzig Jahren fast schon zu alt sind, diesen Änderungen mit Chance auf Anschluß nachzukommen. Der Ältere bleibt hier schnell zurück. Bei den konservativen Sportarten vollziehen sich Änderungen der Techniken usw. zeitlich weiträumiger und der Sportler hat dadurch die Chance der Anpassung und des Anschlusses.

Unsere aktiven Jubilare werden, ob es ihnen nun bewußt ist oder nicht, sich diesen Änderungen angepaßt haben. Sie werden zumindest teilweise diese im Schach ganz stille Revolution mitvollzogen haben. Sie verdanken diese Chance dem konservativen Element des Schachs. Dieses hat sie vor dem frühzeitigen sportlichen Altern bewahrt.

Loben wir unseren Schachsport, der die Hektik steter Wandlungen seiner Art nach von uns fernhielt, auf daß wir uns nicht nach nur wenigen Jahren Abmessungen vorhalten lassen müssen, die unseren eigenen Höchststand mit mitleidigem Belächeln ins frühzeitige Vergessen schicken, ohne jemals die Chance der Abwendung gehabt zu haben.


BildBild

Vereinschronik –– Übersicht zur Jubiläumsausgabe 1974